Eistod
zwischen zwei Bissen. »Alter Wein in neuen Schläuchen.« In Gedanken kämpfte er bereits mit der Buckelpiste, dachte an seine Bandscheiben und die lottrigen Kniegelenke.
Zum Abschluss nahmen sie alle das »kleine Winterwunder«: Es bestand aus einer großen Portion Vermicelles mit Vanilleeis, zwei Schalen Meringue und Schlagsahne.
»Und du arbeitest also im Sozialdepartement … bei Kurt Gloor?« Eschenbach hatte mit der Frage absichtlich bis zum Nachtisch gewartet. Er war bemüht, sie möglichst beiläufig zu stellen.
»Achtung, Fiona, jetzt wirst du verhört«, funkte Juliet dazwischen und lachte.
»Du merkst aber auch alles«, sagte der Kommissar und kniff Juliet in die Seite. Dann wandte er sich wieder zu Fiona und schaute sie an. »Ich hab die Berichte in den Zeitungen gelesen. Nehme an, das hat großen Wirbel ausgelöst …«
»Es gab nur einen Bericht«, sagte Fiona. Sie zerdrückte mit dem Löffel ein kleines Stück Meringue. »Das ist es ja gerade.«
»Der im Tagesanzeiger ?«
»Ja.« Sie schwieg einen Moment.
»Du kannst es ihm ruhig sagen«, mischte sich Juliet ein.
»Ich hätte vielleicht wirklich nicht …«, druckste Fiona.
»Man hat ihr gekündigt, das ist es.« Juliet sah Eschenbach an. »Nur weil sie sich für den Artikel eingesetzt hat. Kannst du das verstehen?«
Der Kommissar dachte an interne Richtlinien und daran, wie heikel der Umgang mit der Presse war. »Ein schwieriges Thema«, sagte er.
»Pah!« Juliet schüttelte den Kopf. »Da sterben Dutzende weg und keiner will’s wissen.«
»Wir hatten letztes Jahr zehnmal mehr Drogentote als Verkehrsopfer«, sagte Fiona leise.
»Ja, die Verkehrsopfer sterben auf dem Land und die Drögeler in der Stadt. So ist das«, sagte Eschenbach. Er kannte die Statistiken.
»Schon …« Fiona räusperte sich. »Ist auch nichts Neues. Nur, die Fälle, die ich meine … die auch in der Zeitung gestanden haben, das sind keine Drogentoten.«
»Sondern?«, fragte Juliet.
»Es sind Randständige … Ausgesteuerte. Leute ohne Perspektiven.«
»Und die nehmen keine Drogen«, warf Eschenbach ein.
»Doch, schon auch.« Fiona nippte am Glas und merkte, dass es leer war. »Der eine oder andere nimmt sicher was. Die wollen einfach überleben.«
»Mmh.« Eschenbach konnte verstehen, dass einem so was an die Nieren ging. Doch vermutlich war sie eine der jungen Frauen, die für die Hoffnungslosen kämpften und irgendwann irgendwas zusammenspannen, das nicht zusammengehörte; weil sie die Nerven verloren oder einfach nur schwarzsahen. »Und wegen dieser Pressesache hat man dir gekündigt?«
»Ich vermute es.« Sie nickte. »Offiziell sind es Sparmaßnahmen.«
»Kannst du da nichts machen?« Juliet sah ihn erwartungsvoll an. »Ich meine, eine fristlose Kündigung … da könnte man doch auch juristisch etwas dagegen unternehmen.«
Eschenbach seufzte. »Schon möglich«, sagte er. »Allerdings ist Kurt Gloor nicht gerade einer, der mir meine Wünsche von den Lippen abliest.«
»Du wirst seine Frau angebaggert haben«, sagte Juliet. Sie lachten über ihren Witz.
Der Kommissar verteilte den kleinen Rest Weißwein auf die Gläser. »Ein guter Freund von mir kennt Gloor recht gut.
Wenn du willst, kann ich ihn ja mal darauf ansprechen. Große Hoffnungen würde ich mir allerdings nicht machen.«
»Ich weiß, und ich bin mir auch gar nicht sicher, ob ich wieder dorthin zurückwill. Es hat sich viel geändert, seit Gloor vor einem Jahr das Departement übernommen hat.«
»Ein Erfolgsmensch halt.« Eschenbach trank den letzten Schluck und blinzelte gegen die Sonne. »Alle loben ihn …«
»In einer Welt, die nur den Misserfolg kennt, ist es schwierig, ein Erfolgsmensch zu sein«, sagte Fiona und lächelte. »Ich mach das jetzt schon über fünf Jahre. Päpple jeden Einzelnen auf, bis er wieder einigermaßen geradeaus denken kann. Außenplatzierungen bei Bauern und ab und zu bei einem Handwerkerbetrieb. Ich hoffe immer, dass ich sie nie mehr sehe.« Sie machte eine kurze Pause, trank und knackste mit den Fingern. »Aber die meisten kommen wieder. Pendler zwischen Sucht und Abstinenz, als wollten sie in diese Welt der Fakten nicht hineinpassen.«
Eine Familie mit drei Kindern drängte sich zwischen den Stühlen an ihnen vorbei, rempelte und schubste. Fiona schien es gar nicht zu bemerken.
»Und wenn es tatsächlich einer schafft, dann hab ich nicht mal Lust zu feiern. Aus Angst, er wird rückfällig. Es gibt zu viele falsche Orte und zu viele falsche
Weitere Kostenlose Bücher