Eistod
Zeitpunkte; ich glaube nicht an den Erfolg, schon gar nicht kurzfristig. Höchstens ans Ausbleiben von Misserfolg – das ist schön genug. Und dazu braucht es Geduld und nochmals Geduld … etwas anderes ist mir dazu noch nicht eingefallen.« Sie machte eine kurze Pause. »Ich denke, für Gloor muss dieses Departement ein Albtraum sein.«
»Er ist ein Arschloch«, sagte Juliet und stand auf.
»Kennst du ihn denn?«, fragte Fiona erstaunt.
»Nein.« Juliet zwängte sich zwischen zwei Stühlen hindurch zum Eingang. Bevor sie im Innern des Restaurants verschwand, rief sie, dass es draußen jeder hören konnte: »Ich kenn keine Arschlöcher.«
»Da sind wir aber froh«, murmelte der Kommissar und rief nach der Rechnung.
Als das »Fräulein« kam, hatten Fiona und Eschenbach den Betrag bereits zusammengerechnet und aufgerundet. Mit dem Hundertfrankenschein flog ein Bild von Kathrin auf den Tisch. Schwarz-weiß, von einem Fotoautomaten.
»Meine Tochter …«
»Darf ich mal?« Fiona hielt das Bild bereits in den Händen und sah es sich genau an. »Eine hübsche Tochter hast du.«
»Sie ist eigentlich nicht meine Tochter …«, sagte der Kommissar etwas verlegen und steckte das Retourgeld ins Portemonnaie. »Genetisch meine ich. Die Schönheit hat sie von der Mutter.«
Fiona nahm ihre Sonnenbrille ab und betrachtete das Foto ein weiteres Mal, als hätte sie einen Fehler entdeckt. Leicht irritiert sagte sie: »Vor einem Monat oder so, da hatten wir ein Mädchen bei uns im Tageshaus … also, die glich ihr aufs Haar.«
»Sie lebt bei der Mutter«, sagte Eschenbach.
»Ich dachte nur, es ist verblüffend, wie sich Menschen manchmal gleichen.«
Die SMS von Schwinn kam, als sich der Kommissar gerade die Skier anschnallen wollte. Erst dachte er, es wäre wieder eine Mitteilung von Kathrin. Aber seit er ihr geschrieben hatte, die Neue hieße Juliette Binoche, war Funkstille. Nein, es war Schwinn, anscheinend Schwinn, denn dort stand: City, Hotel Central – 17 . 00 – KS . Als Absender erschien auf dem Display ein Smiley – keine Nummer also, die er hätte anrufen können.
»Jetzt hab ich dich nicht einmal fahren sehen«, sagte Juliet und schmollte ein wenig, als er sich mit einem Kuss verabschiedete.
In der Gondelbahn rechnete sich Eschenbach aus, dass ihm für die Fahrt nach Zürich eine Stunde blieb. Das wird knapp, dachte er.
»Sind Sie denn überhaupt gefahren?«, fragte der Verkäufer bei Ybrig-Sport. Mit der flachen Hand fuhr er Belag und Kanten ab.
»Nur im Restaurant«, sagte Eschenbach. Hastig zog er sich um. Mit der einen Hand stopfte er das Hemd in die Hose, mit der andern unterschrieb er die Kautions- und Mietbelege. Nachdem der ockerfarbene Volvo, den der Kommissar seit über siebzehn Jahren fuhr, endlich angesprungen war, preschte er entlang des Sihlsees Richtung Einsiedeln. Die Straße war geräumt und glänzte; wie eine feuchte, schwarze Schlange zog sie sich durch die hügelige Winterlandschaft. Das Radio spielte Hits aus den Siebzigerjahren. Bei Sihlbrugg tauchte er in den Nebel und wie durch Geisterhand fand er eine Viertelstunde später die Auffahrt zur Autobahn.
Kurz vor Zürich stand er. Ein Möbelwagen hatte sich quer gestellt und aus Minuten wurden Ewigkeiten. Um diese Zeit war die Innenstadt ein einziges Chaos, und das Blaulicht, das für solche Fälle gedacht war, funktionierte in seiner privaten Karre nicht. Bei der Sihlporte stellte Eschenbach den Wagen vors Hallenbad und ging den Rest zu Fuß: durch die Bahnhofstrasse, dann rechts zum Beatenplatz und über die Brücke zum Central. Er hatte nur zehn Minuten Verspätung.
Eschenbach lief entlang der Traminsel, überquerte die Straße, ging in die Central Bar hinein und wieder nach draußen. Vor seinem geistigen Auge stand Schwinn: Eins achtzig groß, schlank und dunkel; mit den ebenmäßigen Gesichtszügen eines Inders. So hatte er ihn – dem Foto nach – in Erinnerung. Er stellte ihn sich mit gelber Mütze vor oder mit Hut. Mit umgebundenem Schal, Parka oder Wollmantel.
»Eine Scheiße ist das«, zischte er nach einer Weile. »Unter Hunderten von Leuten …« Eschenbach nahm den Seiteneingang zum Hotel Central, ging die paar Stufen hinunter ins Untergeschoss und schaute sich um. Dann ging er in Richtung Herrentoilette. Ein älterer Herr kam ihm entgegen und hielt die Tür auf.
Der Kommissar stand schon beim Pissoir, als die Tür hörbar ins Schloss fiel. Er nestelte am Reißverschluss seiner Hose.
»Jetzt bin ich wieder
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