Eistod
es geht ihr doch besser jetzt?«, fragte sie mit einem Lächeln. Er nickte.
»Wenn du Lust hast …« Sie fuhr mit den Fingern über seinen Handrücken, über die Härchen und entlang den Adern. »Wir gehen morgen Skilaufen, auf den Hoch Ybrig. Komm doch mit!«
»Wenn du sagst wir , dann meinst du nicht Pestalozzi, oder?« Eschenbach stellte sich den Polizeibeamten singend mit weißem Schal auf einem Snowboard vor.
Juliet lachte schallend. »Du bist eifersüchtig …«
»Logisch.«
Eine Weile schien Juliet die Situation zu genießen. Dann erklärte sie, dass sie mit einer Freundin verabredet war. »Fiona betreut ein Projekt für Langzeitarbeitslose bei der Stadt. Ich glaube, du würdest sie mögen.«
Eschenbach suchte in Gedanken bereits seine Skier im Keller. »Wenn es Kathrin besser geht«, sagte er leise. »Kann ich dir das auch heute Abend noch sagen?«
Sie lächelte. »Sicher.«
Als der Kommissar nach der Rechnung rief, hob Juliet den Finger:
»Heute lade ich ein.« Schmunzelnd nahm sie Eschenbachs Portemonnaie aus der Tasche. »Von meinem Finderlohn!«
»Nein, Signore Pestalozzi habe ich nicht gesehen, den ganzen Tag schon nicht.« Rosa schüttelte den Kopf.
Gleich nach dem Mittagessen, ohne erst den Mantel abzulegen, war Eschenbach auf seine Sekretärin zugegangen und hatte sie nach Pestalozzi gefragt. Er klopfte den Schnee von seinen Schuhen.
Rosa blickte missbilligend über den Schreibtisch auf die weiß-braunen Spuren. »Wieso? Sonst fragen Sie nie nach ihm.«
»Irgendjemand muss einen Blick drauf haben, was der macht«, raunzte der Kommissar. »Sonst wird das ein Blindgänger.«
Als Rosa etwas sagen wollte, war Eschenbach schon auf dem Weg in sein Büro. »Gehört an die Leine, dieser Pestalozzi …«, murmelte er. »Wie die Pitbulls.« Mürrisch schloss er die Tür, warf den Mantel über einen Besprechungsstuhl und setzte sich an den Schreibtisch.
Vor ihm lag ein Umschlag: Kommissar Eschenbach stand drauf. Und in großen Lettern darüber: PERSÖNLICH .
Eschenbach stutzte. Der Umschlag war nicht von Rosa. Zum Glück nicht, dachte er. Einmal im Jahr kündigte seine Sekretärin traditionsgemäß. Meist im Februar, wenn der Nebel seit Monaten über der Stadt hockte und der Winter den Anschein erweckte, er wolle für immer bleiben. Dann lag ein ebensolches Kuvert auf seinem Tisch mit exakt demselben Wortlaut.
Plötzlich fiel Eschenbach ein, dass er in letzter Zeit zu Rosa nicht besonders nett gewesen war; ihren Geburtstag vergessen und noch immer kein Geschenk nachgereicht hatte.
Trotzdem: Es war nicht ihre Handschrift. Seit Kurzem schrieb Rosa mit Kalligrafiefeder, mit großem Schwung und grüner Tinte. Ein Protest, wie sie sagte. Weil alles so kleinkariert geworden sei und weil man wegen SMS und E-Mail das Schreiben nicht mehr pflegte.
Der Kommissar öffnete den Umschlag und entnahm ihm ein gefaltetes A 4 -Blatt:
Lieber Herr Eschenbach,
ich halte mich versteckt – Sie wissen schon.
Es sind Dinge im Gang, von denen Sie Kenntnis haben sollten. Ich schlage vor, wir treffen uns.
Zeit und Ort erhalten Sie per SMS.
Ich vertraue darauf, dass Sie alleine kommen.
Konrad Schwinn
Eschenbach drehte das Blatt um, aber es stand nichts weiter drauf. »Frau Mazzoleni?«, rief er in die Gegensprechanlage. Es antwortete niemand.
Der Kommissar sah auf die Uhr. Es war halb vier. Auch wenn es Freitag war, so früh war sie noch nie nach Hause gegangen.
Er fand sie schließlich summend bei der Kaffeestation. »Frau Mazzoleni?«
Sie reagierte nicht.
Erst jetzt sah der Kommissar die weißen Kabel, die zu ihren Ohren führten. Er wurde laut: »Nehmen Sie bitte sofort die Kopfhörer raus, Frau Mazzoleni! Und sagen Sie mir, woher Sie das haben!«
»Von meinem Sohn«, sagte Rosa, nachdem sie die Dinger aus den Ohren genommen hatte.
»Was?« Eschenbach stutzte.
»Der iPod … mein Geburtstagsgeschenk.«
»Das Kuvert, zum Donnerwetter! Wie kommt dieser Umschlag auf meinen Schreibtisch?«
»Ach der.« Rosa wickelte die weißen Kabel um ihr Gerät. »Ein Mann hat es gebracht. Ich soll’s Ihnen geben. Hat nichts Spezielles gesagt, wieso?«
»Kommen Sie bitte mal mit.« Der Kommissar machte ein ernstes Gesicht.
Mit einer Serie von Augenaufschlägen folgte ihm Rosa in sein Büro. Eschenbach nestelte in Bergen von Papier auf seinem Schreibtisch. Er zog heraus und stapelte um. »Herrgott, es hat eben noch hier gelegen.«
»Was?«
»Ein rotes Mäppchen.« Er schnaufte.
»Das Dossier Schwinn meinen
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