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Eistod

Eistod

Titel: Eistod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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Sie?« Rosa ging zielstrebig zum Schrank und zog die Hängeregistratur heraus: »Hier. Das habe ich heute Morgen angelegt. Sonst findet man bald nichts mehr …« Sie reichte ihm die Mappe.
    »Der Mann, der das Kuvert gebracht hat …« Eschenbach blätterte und suchte das Foto von Winters Assistenten.
    »Schwinn war es nicht«, sagte Rosa.
    »Wieso sind Sie sich da so sicher?«, wollte der Kommissar wissen.
    »Der ist jung und hübsch«, sagte sie. »Verdammt hübsch sogar.«
    »Aha.«
    »Genau. Und der andere, der das Kuvert gebracht hatte … der war älter und trug einen Bart.«
    »Und es könnte nicht Schwinn gewesen sein? Ich meine, Bärte kann man kaufen.«
    »Ma dai! – Ich werde vielleicht langsam alt, aber blind bin ich nicht.« Sie zog einen Schmollmund. »Und wenn ich gewusst hätte, dass die Sache wichtig ist … aber hier sagt einem ja niemand etwas.«
    »Schon gut.« Der Kommissar zeigte Rosa den Brief. »Und das wissen jetzt nur wir beide«, sagte er. »Kein Wort zu irgendjemandem – verstehen Sie? Und schon gar nicht zu Pestalozzi.«
    »Wo denken Sie hin, Chef!«
    »Eben.« Einen Moment sagten beide nichts. Dann deutete der Kommissar auf das kleine weiße Gerät. Rosa hielt es noch immer in der Hand, umwickelt mit den Kabeln der Kopfhörer. »Was haben Sie draufgeladen?«, fragte er.
    »Franco hat es gemacht: Gipsy Kings, Celentano, Eros Ramazzotti …« Sie lächelte.
    »Und Lucio Dalla?«
    »Nein, den nicht … noch nicht. Sie kennen Lucio Dalla?«
    »Kennen nicht, aber hören …«
    Rosa nahm die Brille ab, fingerte am Display und sagte: »Ich habe erst fünfunddreißig Songs. Franco hat gesagt, ich soll ihm eine Liste machen. Er hat alles aus dem Internet … über fünftausend Lieder. Er sagt, sie tauschen das, ohne dass man etwas zahlen muss.«
    »Soso.« Eschenbach schmunzelte. »Internetkriminalität hat eine eigene Abteilung bei uns, denken Sie dran. Und sagen Sie Franco einen lieben Gruß von mir.«

    Die S-Bahn nach Horgen war vollgestopft mit Pendlern und der Mief des Tages kroch aus Mänteln und Mützen. Der Kommissar saß am Fenster. Er hatte mit Kathrin telefoniert und ihr seinen Besuch angekündigt. Dass er in der Klinik zu Abend essen würde, zusammen mit ihr. Und dass er sich freue, das hatte er auch gesagt. Ihre Stimme hatte schwach geklungen. Aber immerhin sprach sie wieder und das war ein guter Anfang.
    Der Kommissar sah durch die Fenster auf den See. Er machte im Nebel zwei kleine Fischerboote aus, die langsam entlang einer kleinen Bucht fuhren. Vermutlich nach Felchen, dachte er. Sein Freund Gabriel, der im Seefeld ein Restaurant führte, überließ ihm manchmal sein Boot. Ein kleiner Holzkahn, ideal, um die Welt zu vergessen, wie er sagte. Die Welt von Mord und Totschlag. Und weil der Kommissar vom Fischen keine Ahnung hatte, einen Egli von einem Felchen nicht unterscheiden konnte, waren es Ausflüge in eine heile Welt, in der selbst die Fische nichts zu befürchten hatten.
    Bei Thalwil schnappte sich Eschenbach eine der Gratiszeitungen, die zu Dutzenden herumlagen. Er blätterte sie durch und blieb bei der Wetterkarte hängen. Sie versprach in höheren Lagen Sonne, während unten in der Stadt kein Ende des Nebels abzusehen war. Hoch Ybrig, Pulverschnee, gut , las er im Pistenbericht. Dann wählte er die Nummer von Juliet.

19
    Konrad Schwinn fuhr am Hotel Dolder vorbei, über Gockhausen Richtung Schwerzenbach. Er war spät dran. Ungeduldig trommelte er mit den Fingern aufs Lenkrad. Wer immer die Person war, die mit vierzig Stundenkilometern vor ihm hertuckerte, sie sollte das Autofahren aufgeben, dachte er. Wenigstens im Winter. Er multiplizierte seine Durchschnittsgeschwindigkeit mit der noch zu fahrenden Kilometerzahl. Wenn es so weiterging, würde es eine halbe Stunde länger dauern, als er angenommen hatte.
    Glenn Gould spielte die Goldberg-Variationen von Bach. Schwinn liebte die Komplexität dieser barocken Komposition und die unangestrengte Art, mit der der Pianist sie interpretierte. Es war die Einspielung von 1955 , bei der Gould – entgegen der Intention des Komponisten – auf die Wiederholungen verzichtete. Auch Schwinn mochte keine Wiederholungen und es nervte ihn, dass das Rezital andauernd vom unpassenden Akkord des Verkehrsfunks unterbrochen wurde; es kamen Stau- und Unfallmeldungen am Laufmeter. Die CD von Gould hatte ihm Denise geschenkt.
    Einen Moment überlegte Schwinn, ob er sich nicht besser für die Autobahn entschieden hätte. Er rief Dr.

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