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Eistod

Eistod

Titel: Eistod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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nach dem Kellner.
    »Aber viele Feinschmecker bevorzugen ein Gericht namens Chiri.« Winter ließ sich von seinem Finale nicht abbringen.

    »Das sind halb gare Filetstückchen. Man serviert sie in einem Topf, zusammen mit den giftigen Teilen wie Leber, Haut und Eingeweide.«
    Eschenbach musterte misstrauisch den Topf, der vor Winter stand. In diesem Moment kam der Kellner mit einem kleinen, asiatisch aussehenden Mann im Schlepptau an ihren Tisch. »Nobuyuki Matsuhisa«, sagte der Italiener in einem Tonfall, der eines Staatsmanns würdig war. Er deutete auf den Mann mit der weißen Schürze und dem pechschwarzen Haar.
    »Sayonara«, platzte es aus Eschenbach heraus. Er hatte gerade den letzten Tropfen Rotwein getrunken und stellte das Glas auf den Tisch.
    Der kleine Asiate faltete die Hände vor der Brust und machte eine tiefe Verbeugung vor Winter.
    Der Professor tat dasselbe sitzend.
    »Have you been well with my Chiri?«, erkundigte sich der Mann freundlich.
    »Very well indeed«, sagte Winter. Er stand auf und machte abermals eine Verbeugung.
    Als Kellner und Koch gegangen waren, fragte Eschenbach: »Du meinst, das ganze Giftzeug war in dem Topf?« Er blickte dem Asiaten nach, der ihn Richtung Küche trug.
    Winter nickte. »Es ist anzunehmen.«
    »Und wo kommt das jetzt hin?«
    »In den Abfall natürlich.« Winter lachte. »Die Japaner bevorzugen vier verschiedene Arten von Kugelfisch und bezahlen viel Geld dafür. Alle gehören zur Gattung ugu und sind, wie du jetzt ja weißt, hochgiftig.«
    Der Kellner brachte Espresso und einen Jasmintee.
    »Du scheinst kein Verständnis dafür zu haben.« Winter schlürfte nachdenklich Tee aus der Tasse, die er wie einen kostbaren Kelch mit beiden Händen hielt. »Der Fisch gehört zu den seltenen Genussmitteln, die auf der Grenzlinie zwischen Nahrungsmittel und Droge liegen. Für den Japaner bedeutet der Verzehr von Fugu ein erlesenes ästhetisches Erlebnis. Die hohe Kunst der Fuguköche besteht nicht darin, das Gift zu entfernen. Sie liegt vielmehr darin, dessen Konzentration zu verringern und gleichzeitig sicherzustellen, dass der Gast trotzdem die anregenden physiologischen Nachwirkungen genießen kann.«
    »Das klingt völlig durchgeknallt, Theo.«
    »Nein, ganz und gar nicht.« Winter lächelte. »Hättest du davon probiert, wüsstest du’s jetzt: leichte Taubheit von Zunge und Lippen, ein Gefühl der Wärme, eine Rötung der Haut …« Winter sinnierte einen Moment mit geschlossenen Augen. »Ein allgemeines Gefühl von Euphorie … ja, so könnte man es beschreiben.«
    »Und dieses Gefühl hast du jetzt?« Der Kommissar wusste nun, was der Professor mit seiner Anspielung bezwecken wollte. Seine Bemerkungen zum Effekt der Droge … sie waren reines Kalkül. Winter hatte Judith geliebt, geradezu abgöttisch, und jetzt zwang er Eschenbach, sich an ihre gemeinsame Vergangenheit zu erinnern. Er hatte den Spieß umgedreht. Jede beiläufige Bemerkung war so präzise gesetzt wie eine Akupunkturnadel, exakt an der richtigen Stelle.
    Der Professor schmunzelte. »Natürlich gibt es auch Leute, die zu weit gehen. Obwohl es verboten ist, bereiten einige Küchenchefs für risikoverliebte Gäste ein spezielles Gericht aus der, wie du ja nun weißt, besonders giftigen Leber zu. Das Organ wird gekocht, zerdrückt und dann immer wieder gekocht, bis vom Gift nicht mehr viel übrig ist.«
    »Und das hast du natürlich auch schon probiert«, sagte der Kommissar.
    »Mitte der Siebzigerjahre führte dieses Gericht zum umstrittenen Tod von Mitsugora Bando, einem der besten Kabuki-Schauspieler Japans. Bando war eine Ikone im Land der aufgehenden Sonne. Und wie alle, die die gekochte Leber essen, gehörte er zu den Menschen, die nach den Worten eines Fugu-Kenners gefährlich leben .«
    »Ein kultiviertes russisches Roulette also.«
    »So würde ich es nicht nennen«, sagte Winter leise. Er massierte sich mit beiden Händen den Nacken und schwieg eine Weile. Sein Blick wurde ernster.
    Der Kommissar wartete darauf, dass der Professor weitersprach. Es war dieser spezielle Ausdruck in seinem Gesicht, der Eschenbach faszinierte, ein Abwägen des Wagnisses, wie man es von Kindern kennt, die darüber brüten, ob sie ihre Lieblingsmurmel ins Spiel bringen oder nicht. Es beschäftigte ihn, dass Winter ihm so fremd geworden war. Zwischen ihnen war so viel Distanz.
    » Bios  … das ist das griechische Wort für Leben«, fuhr Winter fort. »Und wenn ich mich als Biochemiker mit so giftigen Substanzen

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