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Eistod

Eistod

Titel: Eistod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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saß auf der richtigen Seite des Tisches.
    Einen Bericht über die seltsamen Todesfälle fand der Kommissar nicht. Er fand Bruchstücke, Bausteine in einem Chaos zwischen Verwahrlosung und Tod. »Wäre es Sommer«, hatte ihm Joel Crisovan von der Betreuungsstelle Treffpunkt Züri gesagt, »dann wären viele dieser Leute gar nicht hier, sondern in Frankreich, Italien oder Spanien.« Manche kämen nur im Winter nach Zürich, weil man mit Tagesstätten und Nachtschlafstellen einen vergleichsweise luxuriösen Standard bietet. »Im Sommer schlafen die draußen.« Es hatte so geklungen, als würde es Crisovan selbst gerne tun: an der Côte d’azur, irgendwo unter Pinien am Strand.
    Eschenbach musste erfahren, wie schwierig es ist, an Informationen heranzukommen, wenn man nicht einfach »Kripo Zürich« sagen und den Ausweis zeigen wollte oder konnte. Wenn er sich am Telefon als Journalist ausgab, wurde es auffallend ruhig am anderen Ende der Leitung, und als er sich als Ludwig Hirschbrunner von der Drogenberatungsstelle Solothurn vorstellte, wurde er sofort in eine Fachdiskussion verwickelt. Nur ein vorgetäuschter Hustenanfall rettete ihn über die Runden. »Ich rufe noch einmal an«, keuchte er und legte auf. Dann kratzte es ihn im Hals und er musste tatsächlich husten. Aber angerufen hatte er nicht mehr.

23
    »Diesen Platz kann man nicht reservieren«, sagte Theo Winter und reichte dem Kommissar zur Begrüßung die Hand. Er saß im vorderen Teil der Kronenhalle und machte keine Anstalten aufzustehen. »Wird einem zugeteilt, der Tisch. Von der Chefin persönlich. Je näher beim Buffet, desto VIP«, meinte er mit einem Lächeln.
    Eschenbach setzte sich.
    »Dürrenmatt und Chagall waren schon hier …«
    »Ich werd mich benehmen.« Eschenbach seufzte innerlich. Er berichtete Winter kurz, dass sie immer noch nicht wussten, wo sich Schwinn aufhielt.
    »Nichts wirklich Neues also«, bemerkte der Professor.
    »Nicht wirklich, nein.«
    Dabei blieb es. Keine Klagen über unfähige Ermittler und nichts über Steuerfranken, die für so unnötiges Zeug wie Radarblitzgeräte zum Fenster hinausgeworfen werden. Hatte sich Winter damit abgefunden, dass sein pfiffiger Assistent verschollen war? So gleichgültig hatte er Winter nicht in Erinnerung. Vielleicht hatte er schon alles mit Pestalozzi besprochen und ging nun davon aus, dass er, Eschenbach, im Bilde war. Der Kommissar entschloss sich, kein Wort darüber zu verlieren. Vielleicht kam Winter später darauf zurück.
    Der Kellner, ein umtriebiger Italiener mit großer Nase, kam und brachte die Karte. Es war ein Unding in Weiß, mit einer Zeichnung von Chagall auf der Vorderseite. Es gab Leute, die wären froh, wenn sie so was zu Hause an der Wand hätten, dachte der Kommissar und schlug die Seite mit den Hauptgerichten auf. Die Preise waren gepfeffert. Aber wenn man pro Gericht zwanzig Franken abzog, die man für einen Museumsbesuch (mit vergleichbaren Bildern an der Wand) bezahlen musste, waren sie zumindest erträglich.
    »Du lädst ein, hast du gesagt?«
    »Der Steuerzahler«, sagte Eschenbach, ohne den Blick von der Karte zu nehmen. Es fiel ihm ein, dass der Betreuungssatz für einen Drogenabhängigen vierhundert Franken pro Tag betrug. Das hatte er im Laufe des Morgens in Erfahrung gebracht. Vermutlich würde es reichen, dachte er. Für einmal Kronenhalle; für Winter und für ihn.
    Die Brasserie war brechend voll, es lärmte und schepperte. An den Wänden hing Chagall. Schon wieder Chagall. Und Picasso und Matisse und Kandinsky; auf den Stühlen und Bänken saß das Geld. Leute, die es hatten, und Leute, die es auch ausgeben wollten.
    »Erzähl mir was über Fugu-Gift«, sagte der Kommissar, nachdem sie ausgiebig die Karte studiert hatten. »Das interessiert mich.«
    »Der Fugu … soso.« Winter runzelte die Stirn.
    Der Kellner kam und erkundigte sich nach dem Befinden. So wie er dastand, mit dem gefalteten weißen Küchentuch über dem Unterarm, sah er aus wie aus einer anderen Zeit. Er ergänzte die Karte mit einem kurzen Vortrag zum Tagesangebot: Nudeln mit Trüffeln aus dem Piemont gab es und Tintenfisch vom Grill mit frischem Brokkoli und Pinienkernen.
    Frisch aus dem Gewächshaus, dachte Eschenbach. Er zog die Jacke aus und legte sie neben sich auf die Bank.
    »Und natürlich die Gerichte unserer Japanischen Woche«, sagte der Kellner. Er wies auf die kleine Karte hin, die wie ein Buchzeichen in der großen steckte.
    »Ich hab’s gesehen«, sagte Winter.
    »Ich mag

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