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Eistod

Eistod

Titel: Eistod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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keinen rohen Fisch«, sagte Eschenbach und zeigte auf das Wiener Schnitzel für fünfundfünfzig Franken.
    Der Kellner nickte freundlich. »Die meisten unserer Gäste nehmen die Traditionsgerichte. Trotzdem, Herr Nobuyuki Matsuhisa …« Er las den Namen von einem Zettel ab. »Er ist ein Starkoch aus Tokyo.«
    »Wenn das so ist, nehme ich Chiri«, sagte Winter und gab dem Kellner die Karte zurück. »Das bekommt man hierzulande selten.«
    »Nächste Woche kocht Herr Matsuhisa im Baur au Lac.« Der Mann mit der großen Nase notierte die Speisen und sagte zum Kommissar: »Dann ist hier alles wieder beim Alten, Monsieur.«
    »Ich nehm Chiri«, sagte Winter. »Und vorher die Tagessuppe, wenn’s recht ist.«
    »Schauen Sie mich an, ich bin der Schnitzel-Typ.« Eschenbach wählte als Vorspeise ebenfalls die Suppe, dann warf er einen Blick in die Weinkarte. »Du trinkst doch auch?«
    »Wenn’s drinliegt …«
    Sie einigten sich auf einen roten Piemonteser und eine Karaffe Wasser ohne Kohlensäure.
    Der Kellner zog sich diskret zurück.
    »Der Fugu interessiert dich also?«
    »Ganz genau.«
    »Darf ich wissen, warum?«
    »Wir haben Rückstände dieses Giftes gefunden, kürzlich bei einer Leiche.«
    »Tetrodotoxin?«
    »Exakt.«
    »Ach so.« Winter griff sich in den Nacken, machte ein paar lockernde Bewegungen mit dem Kopf. »Ich sitze zu viel«, sagte er nachdenklich. »Kugelfische also …« Er ratterte eine Liste von wissenschaftlichen Begriffen herunter, mit denen Eschenbach nichts anfangen konnte.
    »Ich bin Laie, Theo.«
    »Natürlich, ich weiß. Aber ihr habt doch Drogenexperten bei euch … und das Gerichtsmedizinische Institut …« Wieder wackelte Winter mit dem Kopf. Ein großer Kopf auf schmächtigen Schultern. »Ich frag mich manchmal, ob man das nicht einfach zusammenlegen sollte. Das, was ihr so macht … und unser kleines Institut.«
    »Kleines Institut …« Eschenbach lachte. »Du bist ein Gott, Theo!«
    Während sie die Kürbiscreme-Suppe löffelten und den Wein probierten, erfuhr der Kommissar, dass es sich um eine der giftigsten Substanzen handelte, die in der Natur vorkamen. Winter hatte zwei Arten von Fischen genannt: den fou-fou , der sich lateinisch als Diodon hystrix entpuppte, und den crapaud de mer oder die Meereskröte; wissenschaftlich Sphoeroides testudineus .
    »Hast du das irgendwo … in Kurzform, meine ich«, unterbrach ihn Eschenbach. Er wischte sich mit der Serviette den Mund. »Sonst muss ich mir das alles aufschreiben.«
    »Da gibt es Hunderte von Abhandlungen«, sagte Winter etwas gelangweilt. »Im Englischen heißen sie Kugelfische, weil sie immer, wenn sie bedroht werden, große Mengen Wasser schlucken und sich dadurch aufblähen. Für die Angreifer wird es fast unmöglich, sie zu verschlingen.«
    Der Kellner räumte die leeren Suppenschüsseln weg und goss Wasser und Wein nach.
    »Die Natur übertreibt mal wieder …« Winter nahm einen Zahnstocher und zerbrach ihn. »Das Tier hat diesen passiven Verteidigungsmechanismus gar nicht nötig, eigentlich …«
    Der Kommissar erfuhr, dass beide Fischarten zu einer großen pan-tropischen Familie gehörten, deren Eigenart es war, Tetrodotoxin in der Haut, der Leber, den Ovarien und den Eingeweiden bereitzuhalten.
    »Ein tödliches Nervengift …« Winter nahm einen zweiten Zahnstocher aus dem kleinen, silbernen Gefäß und spielte damit. »Eine der giftigsten nicht proteinhaltigen Substanzen, die bekannt sind.«
    Eschenbach erinnerte sich, dass Salvisberg dieselben Worte verwendet hatte.
    »Laboruntersuchungen haben gezeigt, dass es hundertsechzigtausendmal stärker ist als Kokain. Als Gift ist es ungefähr fünfhundertmal wirksamer als Zyanid, vorsichtig geschätzt, wohlgemerkt. Eine tödliche Dosis reines Tetrodotoxin …« Winter deutete mit dem Kinn auf den Zahnstocher, den er zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. »Es wäre ungefähr die Menge, die auf der Spitze dieses Zahnstochers Platz hätte.«
    »Hoppla.« Eschenbach nahm das Weinglas. »Haben wir völlig vergessen. Auf dich, Theo.« Sie stießen an und tranken.
    Während des Hauptgangs verirrte sich Winter in die Geschichte des Giftes, die bis zu den Anfängen der Zivilisation reichte. Schon den Ägyptern war es bekannt gewesen. »Auf dem Grab von Ti, einem Pharao der fünften Dynastie, findest du die Abbildung eines Kugelfisches. Und vermutlich war das tödliche Biest aus dem Roten Meer der Grund für das Verbot, schuppenlose Fische zu essen. Fünftes Buch Mose ,

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