Eistod
dort kannst du es nachlesen.«
Eschenbach ließ Winter reden. Theo war ein gebildeter Mensch und es machte Spaß, ihm zuzuhören. Immer wieder dachte er an Judith. Vielleicht war es besser, sie nicht zu erwähnen.
Es folgte ein Abriss über die Dynastien Chinas, die die Giftigkeit des Fisches im Pentsao Chin dokumentierten; einem der ersten großen Arzneibücher, das während der Herrschaft des legendären Kaisers Shun Nung entstanden war. »Zur Zeit der Han-Dynastie wusste man bereits, dass das Gift konzentriert in der Leber des Fischs vorkommt. Vierhundert Jahre später, in der Sui-Dynastie, erscheint eine genaue Beschreibung der Giftigkeit von Leber, Eiern und Ovarien in einer bekannten medizinischen Abhandlung. Das letzte der großen Pflanzenbücher, das Pentsao Kang Mu – führt schon Ende des 16 . Jahrhunderts aus, dass die Giftigkeit von Art zu Art verschieden ist und dass auch innerhalb einer Art jahreszeitlich bedingte Schwankungen auftreten können. Du kannst dort auch nachlesen, was passiert, wenn ein Mensch die Leber und Eier isst.«
»Tatsächlich?« Der Kommissar sah Winter zu, wie er die halb garen Filets aus dem Topf zog, der vor ihm stand, sie mit einer dunklen Sauce bestrich und zusammen mit einer Gabel Reis verspeiste. Er war froh, dass er sich für das Schnitzel entschieden hatte.
»Im Mund zersetzt das Gift die Zunge, und wenn du Leber und Eier schluckst, zersetzt es die Eingeweide. Dagegen ist kein Kraut gewachsen.« Winter kaute genüsslich.
»Und trotzdem scheint man den Fisch zu mögen, wenigstens in Japan.« Der Kommissar zog eine Grimasse.
»Ich sehe, du hast dich auf unser Gespräch vorbereitet«, sagte Winter mit anerkennendem Nicken.
Es klang fast wie Spott. Eschenbach tröstete sich mit einer Gabel Pommes.
»Auch diese Entwicklung wird im Pflanzenbuch des Mandarin, dem Pentsao Kang Mu , angedeutet. Ende des 16 . Jahrhunderts werden, ungeachtet der immensen Risiken, Rezepte aufgeführt, wie der Fisch zu kochen ist. Einzelheiten zu Verfahren werden beschrieben, die dazu dienen, das Gift zu neutralisieren und das Fleisch genießbar zu machen. Wie viel Spielraum man allerdings dem Irrtum einräumte, ist ungewiss.« Winter legte die Stäbchen zur Seite und nahm nun die Gabel. Er vermischte die Sauce mit dem restlichen Reis und kostete.
»Haufenweise Tote jedes Jahr, nur weil man auf einen Fisch nicht verzichten möchte. Das ist absurd, finde ich.« Eschenbach nahm die Serviette und tupfte einen Flecken auf seinem Hemd weg.
»Die Fertigkeit, einen Kugelfisch so zuzubereiten, dass er ungefährlich ist, war den europäischen Seefahrern völlig unbekannt. Das Ergebnis waren einige höchst farbige Schilderungen der möglichen Wirkung dieses Giftes.«
Der Kommissar hörte sich auch noch geduldig die Geschichte von James Cook an, der bei seiner zweiten Weltumsegelung gemeinsam mit Naturheilkundlern geringe Mengen des Fischs probiert hatte.
»Eine außerordentliche Schwäche befiel sie, nach einer winzigen Kostprobe«, referierte Winter munter. »Eine Taubheit, wie man sie empfindet, wenn man völlig durchgefroren ist und Hände oder Füße ans Feuer hält. So beschrieb es Cook in seinen Tagebüchern.«
»Na, das kann man sich doch schenken«, sagte Eschenbach und sah auf die Uhr.
»Nicht unbedingt«, mahnte Winter. »Heute ist die Leidenschaft der Japaner für den Kugelfisch so etwas wie Teil ihrer Identität. Allein in Tokio verkaufen über zweitausend Fischhändler Fugu. Er wird in fast allen Restaurants der Spitzenklasse serviert. Um den Anschein einer Kontrolle aufrechtzuerhalten, erteilt die japanische Regierung speziell ausgebildeten Köchen Lizenzen. Sie allein haben die Erlaubnis, den Fisch zuzubereiten.«
»Und jetzt haben die hier vermutlich auch so einen«, sagte der Kommissar.
»Und keiner isst’s«, konterte Winter.
»Der Bauer isst nur, was er kennt.«
»Eben. Das ist typisch Schweiz.« Winter faltete die Serviette.
»Das bin typisch ich«, sagte Eschenbach. »In Zürich schießen die Sushi-Bars wie Pilze aus dem Boden. Sogar bei Sprüngli hab ich’s gesehen. In Plastikboxen, wie bei McDonald’s.«
»Im Allgemeinen wird Kugelfisch als Sashimi gegessen, also roh und in Streifen geschnitten. In dieser Form ist das Fleisch relativ ungefährlich. Das gilt auch für die Hoden, nur besteht die Gefahr, dass sie manchmal selbst von den erfahrenen Küchenchefs mit den tödlichen Eierstöcken verwechselt werden.«
»Die Weiber also …«, brummte Eschenbach und sah
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