Eistod
in denen ihm vieles sinnlos erschien und er so etwas wie Schwermut empfand. Aber das, was Meret Meiendörfer gefangen hielt, war etwas ganz anderes. Etwas, das er sich nicht hatte vorstellen können.
Er fand seine Kollegen im Park.
»Du wolltest uns erfrieren lassen, gib’s zu«, knurrte Lenz. Er hatte sich eine Pfeife gestopft und Jagmetti, der neben ihm stand, blies in die Hände. Beide hatten sie rote Nasen.
»Ich hab die Tabletten.«
»Also doch!« Lenz nickte vor sich hin. »Wie wir vermutet haben.«
Jagmetti sah auf die Uhr. »Dann nichts wie zurück.« Und zu Eschenbach meinte er: »Ruf doch schon mal Salvisberg an, damit er sich ein Zeitfenster offen hält.«
36
Auf dem Heimweg hatte der Kommissar wieder Jagmettis Handy am Ohr. Nachdem er Salvisberg nicht erreichen konnte, rief er Rosa im Präsidium an. Er sagte ihr, um was es ging, und bat sie, es bei Salvisberg weiter zu versuchen. »Und für den Fall, dass weitere Personen tot aufgefunden oder eingeliefert werden: Alles geht ab sofort ins Gerichtsmedizinische Institut Zürich. Veranlassen Sie, dass ein Merkblatt an die Notaufnahmen der Spitäler gefaxt wird. Ebenso an sämtliche Polizeidienststellen des Kantons.«
»An alle kantonalen Polizeikorps der Schweiz soll sie’s schicken«, mischte sich Lenz von hinten ein. »Das ist kein Zürcher Süppchen mehr.«
»Ja, natürlich.« Eschenbach wiederholte den Satz für Rosa. »Einfach allen halt.« Er stellte sich vor, wie seine Sekretärin die Botschaft mit ihrer Kalligrafiefeder und grüner Tinte auf ein Umweltpapier schnörkelte. Vielleicht hatten sie ja Glück und finden noch eine Leiche, dachte er. »Und wenn Sie das haben, dann suchen Sie mir Tobias Meiendörfer. Er soll sich umgehend bei mir melden.«
»Pestalozzi?«
»Ja, den meine ich. Ich muss ihn unbedingt sprechen.« Dann wählte er die Nummer von Winters Institut an der ETH. Juliets Stimme klang aufgeregt. Sie erzählte ihm, dass der Professor wieder aufgetaucht und alles in bester Ordnung sei. Es war alles ein Missverständnis gewesen; ein großer Patzer. Man hatte beim Strategischen Nachrichtendienst einen ursprünglich arabischen Text falsch ins Deutsche übersetzt. Ein peinlicher Irrtum, der nun beim Bund und beim Blick für Zündstoff sorgte.
»Hoffentlich rollen Köpfe. Ich will so was nicht mehr erleben.« Sie sagte es mit einer Mischung aus Rachlust und Erleichterung.
»So kenn ich dich gar nicht.«
»Ich mich auch nicht.«
Eschenbach fühlte sich besser, jetzt, da er Juliets Stimme hörte. Ihre aufgeregte Fröhlichkeit schien sich auf ihn zu übertragen. Er fragte, ob sie Lust habe, abends mit ihm essen zu gehen.
»Bist du alleine?«
»Jetzt? Nein … wir fahren gerade ins Institut für Rechtsmedizin. Wieso?«
»Du klingst so … so geschäftig.«
Der Kommissar hörte, wie sie leise zu kichern anfing.
»Was hast du?«
»Sag mir, dass du mich begehrst.«
»Ja, tu ich.«
»Sag, dass du mich bumsen willst.«
»Ja, das auch.«
»Sag es laut … sonst komm ich nicht mit.«
Eschenbach grinste. Nun wusste er, auf was sie hinauswollte und dass sie dachte, er schämte sich ihrer. Er wechselte das Handy in die andere Hand und sagte so laut, dass alle es hören konnten: »Ich begehre dich, mein Engel, und will dich bumsen!«
Jagmetti unterdrückte ein Lachen. Lenz schaute diskret aus dem Fenster.
»Ich dich auch«, kam es vom anderen Ende der Leitung. Dann beendeten sie das Gespräch.
Salvisberg wollte sich eine Nacht lang Zeit lassen.
Der Mann mit dem schwammigen Gesicht und den intelligenten, hellblauen Augen, der ansonsten immer für einen Schwatz zu haben war, schien in Eile zu sein. Er nahm die Tabletten entgegen und betrachtete sie. »Also dann«, sagte er zu den Beamten und deutete mit dem Kinn zur Tür. »Ihr könnt hier nicht rumstehen wie die Ölgötzen … In der Kantine gibt’s was zu trinken, wenn ihr wollt. Ich muss jetzt arbeiten!«
»Schon recht.« Eschenbach war enttäuscht.
Doch immerhin interessierte sich der Professor brennend für die Substanz, denn er machte sich gleich an die Arbeit. In einer kleinen, weißen Schale zermalmte er mit einem Stößel eine der Tabletten. Dann ging er zu einem Apparat, der aussah wie eine große, weiße Kaffeemaschine. Fasziniert schauten Eschenbach und die anderen beiden Männer zu, wie er das Pulver in ein Reagenzglas gab, mit einer Flüssigkeit vermischte und schüttelte. Dann tippte er mit seinen dicklichen Fingern geschickt auf einem Display herum, bis es
Weitere Kostenlose Bücher