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Eistod

Eistod

Titel: Eistod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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verdanken.
    Bei der Trauerfeier von Judith hatte Eschenbach ganz hinten gesessen und Theo ganz vorne. Es war das letzte Mal gewesen, dass sie sich begegnet waren, für eine lange, lange Zeit.
    Mit dem Gefühl, dies alles nochmals durchlebt zu haben, stand der Kommissar vor seiner Haustür und wartete auf Jagmetti, der den Wagen holte.
    Wie vereinbart, um Punkt sieben, fuhren sie bei Lenz vor. Der Alte stand bereits oben an der Straße. Er trug eine alte Gebirgsmütze vom Militär und einen verfilzten Wollschal. Es war noch immer stockfinstere Nacht. An der Autobahnraststätte Gunzgen-Nord gab es Kaffee und eine Kleinigkeit zum Frühstück. Dann ging es weiter.
    Die Fahrt von Zürich nach Bern war ein einziges Elend.
    Dort, wo im Sommer die Baustellen die Fahrt behinderten, krochen im Winter die Lastwagen. Sie kamen aus Griechenland, Spanien und Kroatien. Aus Ländern, die Schnee nur vom Hörensagen kannten; mit Sommerreifen schlitterten sie über die matschige Fahrbahn.
    »Wir hätten besser die Bahn genommen.« Eschenbach schüttelte den Kopf.
    »Nach Gwatt mit der Bahn ist wie ans Ende der Welt zu Fuß«, gab Jagmetti zurück. Der junge Polizist saß am Steuer seines schnittigen Audi A 3 und trank aus einer Coladose.
    Lenz schlief im Fond des Wagens.
    Eschenbach hatte die Unterlagen, die ihm der Alte gegeben hatte, auf den Knien und telefonierte die Krankenhäuser ab: Bern, Basel und Zürich. Nirgends hatte man Anhaltspunkte gefunden, die auf eine Tetrodotoxinvergiftung hingewiesen hätten. Solche Tests würden nur auf besondere Anweisung hin durchgeführt, hatte man ihm erklärt.
    Was man gefunden hatte, war das Übliche: SPEED – AMPHETAMINE – METHAMPHETAMIN – ECSTASY – KOKAIN – CRACK – LSD – MDMA – GHB – CANNABIS – HEROIN – KETAMIN – MESKALIN – DMT – PCP – BENZODIAZEPINE – METHADON – BUPRENORPHIN und so weiter. Eschenbach konnte mitreden.
    Nach den Spitälern waren die Bestattungs- und Friedhofsämter an der Reihe und bei Kriegstetten war der Akku leer. Eschenbach wechselte auf das Handy von Jagmetti. Es folgten die Krematorien und die Sozialdienste der Heimatgemeinden, die Beratungs-, Koordinations- und Rückführungsstellen.
    Eschenbach gähnte. Er war hundemüde und fühlte sich schlecht.
    Zusätzlich zu den zehn Fällen, bei denen der Kommissar langsam den Durchblick hatte, fand er Hinweise zu zwei weiteren Personen auf der Liste. Es war das alte Lied vom Suchen und Finden. Und mit jeder neuen Erkenntnis wuchs seine Zuversicht, dass sich die einzelnen Schicksale hinter den Namen bis zu einem gewissen Punkt rekonstruieren ließen. Es brauchte etwas Glück – und Zeit. Und es war eine Frage zusätzlicher Ressourcen; das wurde ihm ebenso klar wie der Umstand, dass sie im Moment weder das eine noch das andere wirklich hatten.
    Kurz vor Thun stieg Jagmetti plötzlich in die Eisen.
    Eschenbach hing im Gurt und fluchte. Die Unterlagen flogen ihm übers Knie wie über einen Schanzentisch.
    »Was ist los?«, fragte Lenz von hinten. Er war aufgewacht und rieb sich die Stirn.
    Während sie eine halbe Stunde im Schritttempo vorwärtsstotterten, fasste der Kommissar zusammen, was er über die Toten in Erfahrung gebracht hatte. Dass es Menschen gewesen waren, die jenseits der Straße über kein soziales Netz verfügten. Keine Kinder, keine Familie, kein Zuhause. Und was die zwei Schweizer betraf, die bis jetzt identifiziert wurden: Sie hatten nicht einmal eine AHV-Nummer.
    »Das gibt’s doch gar nicht«, sagte Lenz. »Eine AHV-Nummer hat man immer.«
    »Und Eltern!«, warf Jagmetti ein. »Wenigstens die müsste jeder haben.«
    »Bestimmt.« Eschenbach zuckte die Schultern. »Kontakt abgebrochen, gestorben … Die Sozialbehörden hatten darüber keine Informationen.«
    »In diese Richtung müssten wir aber suchen«, kam es von Lenz.
    »Sicher. Und ich bin überzeugt, dass wir mit dem entsprechenden Aufwand auch etwas finden würden … nur das kann ewig dauern. Zudem sind die wenigsten Schweizer. Und keiner hat irgendwelche Papiere.« Eschenbach ging nochmals seine Notizen durch. »Ach ja. Bei drei Personen hat man Geld gefunden. Hunderter- und Fünfzigernoten. Dem Spitalpersonal ist das aufgefallen.«
    »Vermutlich Diebstahl«, sagte Jagmetti. Er war froh, dass es auf der Straße wieder zügiger vorwärtsging.
    »Wenn man stirbt und nichts hat, nichts und niemanden auf der Welt, dann gibt’s wenigstens einen Staatssarg«, meinte der Kommissar lakonisch. »Der ist aus Tannenholz und

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