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Eistod

Eistod

Titel: Eistod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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herunter, von Leuten, die in seiner Abwesenheit angerufen hatten. Sacher und Burri waren die Einzigen, die für den Moment von Belang waren. Dann gab sie ihm die Nummer von Meiendörfer. »Er war sehr nett, sehr zuvorkommend auch«, meinte sie.
    Die Seele einer italienischen Mutter, dachte Eschenbach.
    »Ganz im Gegensatz dazu dieser Schwinn … also der läuft tatsächlich mit Ihrem Ausweis herum. Doktor Gürtler hat ihn auf dem Foto erkannt. Er ist sich ganz sicher …« Rosa ereiferte sich.
    »Keine Sorge«, Eschenbach schmunzelte. Er hatte nun eine Ahnung, was gespielt wurde. »Nein, Frau Mazzoleni, da müssen Sie wirklich nichts unternehmen.«
    Nachdem er Rosa auf den nächsten Morgen vertröstet hatte, wählte er die Nummer von Tobias Meiendörfer. Er hatte Glück. Der Biochemiker war in Zürich und sie verabredeten sich in der Bar des Hotel Central.
    Die Idee mit dem Central war gut. Und doch war es ein Pokerspiel, denn er hatte keinerlei Beweise, ob die Substanz, mit der Salvisberg gerade hantierte, wirklich etwas mit den seltsamen Todesfällen zu tun hatte. Aber jetzt, da sie einen weiteren Toten gefunden hatten – und somit über eine Leiche verfügten, die sie für weitere Analysen verwenden konnten –, gab es eine Chance, alles vielleicht nachweisen zu können. Der Kommissar sah auf das Poster an der Wand mit dem Periodensystem. Vielleicht war doch etwas dran, an dieser Welt der Elemente und Verbindungen.
    Je länger Eschenbach darüber nachdachte, desto mehr beschlichen ihn Zweifel, ob er richtig handelte. War das spontan vereinbarte Treffen mit Meiendörfer zu früh angelegt? Würde er sich damit etwas vergeben? Der Junge war intelligent, sehr sogar, das wusste er. Aber das Telefonat, das er vor Tagen in der Toilette des Central mitgehört hatte, könnte er verwenden. Und auf die Mutter im Seewinkel würde er ihn ebenfalls ansprechen.
    Es war ein heikles Unterfangen, das er sich eingebrockt hatte. Eine knappe Stunde blieb ihm noch, um sich für das Gespräch eine Strategie zusammenzuschustern. Langsam stand er auf, nahm seinen Mantel in die Hand, die er über einen Stapel Bücher am Boden gelegt hatte, und ging zur Tür.

37
    Rund um das Central brummte der Abendverkehr. Geschäftsleute eilten über die Tramgleise oder standen im Windfang; sie trugen Wintermäntel, warteten, telefonierten oder starrten gedankenverloren ins Leere. Von der Polybahn kamen Studenten in dicken Pullovern; mit Umhängetaschen und Turnschuhen.
    Eschenbach war zehn Minuten zu früh. Er beobachtete eine Schulklasse, die sich eine Schneeballschlacht lieferte. Mit dumpfem Klatschen landeten die Geschosse an Billetautomaten, Haltestellentafeln und an der Wand des Tramhäuschens. Als eine Frau mit Pelzmantel an der Schulter getroffen wurde, drohte sie lautstark mit der Polizei.
    Der Kommissar ging hinüber zum Hotel. Die Bar war brechend voll. Ein Eros-Ramazzotti-Typ saß am kleinen, schwarzen Flügel am Eingang und spielte Dave Brubecks Take Five . Er sah besser aus, als er spielte. Eschenbach war genervt. Das Stück, zu dem Paul Desmond die Vorlage geschrieben hatte, war für Saxofon gedacht: ein rauchiges, warmes Saxofon!
    Der Kommissar sah sich um. Nachdem er Meiendörfer nirgends erblicken konnte, ging er zur Theke und bestellte ein Bier. Eine laszive Rothaarige saß neben ihm und bat um Feuer.
    Ein »Danke« kam, gefolgt von einem Lächeln.
    Der Kommissar musterte die Dame diskret. Sie hatte schöne Beine und zeigte mehr davon, als um diese Jahreszeit üblich war. Er dachte an den Abend mit Denise Gloor und an seinen Freund, den Arzt. Sobald er die Ergebnisse von Salvisberg hatte, würde er Christoph anrufen.
    Tobias Meiendörfer kam eine Viertelstunde zu spät. Eine akademische Viertelstunde, wie er meinte. Er entschuldigte sich.
    Als sich das Lokal immer mehr füllte und kaum mehr Platz zum Stehen bot, entschlossen sie sich zu gehen. Der Kommissar bezahlte.
    Tobias Meiendörfer war bleicher, als ihn Eschenbach in Erinnerung hatte. Abgekämpft und müde sah er aus. Die blonden Strähnen hingen ihm traurig in die Stirn.
    Sie gingen langsam entlang der Limmat Richtung Walche-Brücke.
    »Sie haben meine Mutter besucht, nicht wahr?«
    »Ja, heute.«
    »Es geht ihr schlecht.«
    »Ich weiß.«
    »Es ist der Winter«, sagte Meiendörfer. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Dann ist es besonders kritisch.«
    »Das hat sie angedeutet.«
    »Und trotzdem will sie nicht weg. Unzählige Male haben wir es versucht, Klara und ich.

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