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Eistod

Eistod

Titel: Eistod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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es.«
    »Eine genetische Veränderung also.«
    »Genau. Ethisch problematisch … wissenschaftlich käme es einem Geniestreich gleich. Vermutlich eine der größten Entwicklungen in der neueren Medizin.«
    »Wenn’s funktioniert.«
    »So ist es.«
    »Eine zentrale Annahme in Winters neurologischem Gleichgewichtssystem ist das CRF-Gen. Es steuert die Ausschüttung von Corticotropin und dies wiederum veranlasst die Nebennierenrinde, das Stresshormon Cortisol auszuschütten. Es ist eine Art Überlebensgen: Werden wir bedroht, trimmt es unseren Organismus auf Kampf- oder Fluchtbereitschaft. Gleichzeitig schaltet es überflüssige, hinderliche oder ablenkende Aktivitäten ab. Beispielsweise sorgt es für eine höhere Brennstoffversorgung der Muskeln, unterdrückt Hunger und Sexualtrieb und steigert die Wachsamkeit. Zur Bewältigung von Gefahren ist das System überlebenswichtig. Eine chronische Aktivierung der Stressachse hingegen – davon ist Winter überzeugt – führt zu einer Veränderung des CRF-Gens. Interessanterweise ist dieser Vorgang irreversibel.«
    »Wir vertragen also nur ein gewisses Quantum an Stress.«
    »Einfach gesagt, ja.«
    »Und wenn’s zu viel wird, wenn der Schaden einmal da ist, dann vererben wir’s weiter an unsere Kinder. Ist das die Quintessenz der Geschichte?«, wollte Eschenbach wissen.
    »So ungefähr.«
    »Wenn Sie das testen könnten …«, Eschenbach überlegte, »an Tieren oder Menschen zum Beispiel. Welche Spezies würden Sie für diesen Test bevorzugen?«
    »Es gibt Experimente mit Indischen Hutaffen«, antwortete Meiendörfer vorsichtig. »Sie sind als Primaten dem Menschen emotional näher als ein Nagetier. In den ersten drei Monaten nach der Geburt der Jungtiere hielt man die Affenmütter unter drei verschiedenen Bedingungen: Einige wurden immer reichlich mit Futter versorgt, andere stets knapp; die dritte Gruppe schließlich erhielt in unregelmäßigem Wechsel bald viel, bald wenig Nahrung. Diese unüberschaubare Situation verängstigte und beschäftigte die Affenweibchen dermaßen, dass sie sich nicht mehr richtig um ihren Nachwuchs kümmerten. Wie von Winters Modell vorhergesagt, waren die Jungtiere dieser Versuchsgruppe weniger aktiv und unternehmungslustig als die der anderen, mieden das gemeinsame Spiel und fielen in Schreckensstarre, wenn etwas Ungewohntes geschah – ein typisches Verhalten bei sozialer Deprivation. Als ausgewachsene Tiere hatten sie dann deutlich erhöhte CRF-Konzentrationen in der Rückenmarkflüssigkeit.«
    »Und jetzt?«
    »Es liefen Studien mit Marmosets, das sind ebenfalls Primaten. Es wurde untersucht, wie sich das Verhalten der Tiere unter Einnahme von Winters Wirkstoff verändert.« Meiendörfer seufzte. »Leider mussten diese wegen einer Intervention des Tierschutzes abgebrochen werden.«
    »Wenn man Menschen nehmen würde«, überlegte Eschenbach laut. »Dann würde man genau solche Leute wählen: sozial Randständige, die heute nicht wissen, wovon sie morgen leben werden. Mit dem ständigen Stress, der Angst um die eigene Existenz. Oder liege ich da falsch?«
    »Nein, da liegen Sie richtig.«
    »Und das haben Sie recherchiert?«
    »Ja.«
    »Behaupten Sie.«
    »Ja.«
    »Und wer sagt mir, dass nicht Sie es waren, der diese ganzen Versuche inszeniert hat – im Wahn, Ihrer Mutter helfen zu müssen? Weil Sie glauben, Sie seien schuld an allem?« Eschenbach hatte das Gefühl, dass sein Gegenüber ihm einen Teil der Wahrheit verschwieg.
    »Sie unterstellen mir ein Motiv?«, fragte Meiendörfer leise. Er sah einen Moment auf die Limmat, die still und schwarz an ihnen vorbeifloss.
    »Natürlich haben Sie ein Motiv!« Eschenbach wurde laut. »Ein sehr starkes sogar. Ich habe Ihre Mutter gesehen, in ihrem ganzen jämmerlichen Elend.«
    Meiendörfer schüttelte verzweifelt den Kopf.
    Und wo haben Sie eigentlich das Medikament her? Winter kann es Ihnen unmöglich selbst gegeben haben.«
    »Nein.«
    »Na also.« Eschenbach sah Meiendörfer direkt in die Augen. Er hatte ihn dort, wo er ihn haben wollte. »Und mit wem haben Sie telefoniert, als Sie im Central meinten, vergeblich auf mich gewartet zu haben?«
    »Sie waren dort?« Meiendörfer sah ihn ungläubig an.
    »Sicher! Und die Person, mit der Sie in der Toilette telefoniert haben, war Klara Sacher, nicht wahr? Sie wurden die ganze Zeit von ganz oben gedeckt.«
    »Nein, so war es nicht. Es ist nicht Klara …« Meiendörfer sah auf die Uhr an seinem Handgelenk, dann griff er in seine

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