Eisvampire
der Direktor die Einsamkeit zu spüren, die über dem Lager lastete. Mit Gewalt zwang er das irrationale Gefühl nieder.
»Eisvampire – pah!« murmelte er und trank einen großen Schluck Rum. Der scharfe Alkohol ließ ihn vermeintlich seine Selbstsicherheit wiedergewinnen, und in Gedanken malte er sich seinen Triumph aus, wenn die Arbeiter morgen reumütig zurückkehren würden, ohne daß sich eines dieser märchenhaften Wesen gezeigt hatte.
Der Schneesturm wurde heftiger. Bald konnte man durch das Fenster nur einen hin und her geschüttelten weißen Vorhang erkennen.
Dann brach die Nacht herein.
Logan füllte die Munitionskammer des Gewehres mit sechs von Chroschkas Geschossen und steckte die übrigen vierzehn in die Brusttasche seines Fellmantels.
Draußen war es inzwischen völlig dunkel geworden.
Der Polizeichef reichte Moreau als letztem ein Gewehr und die zwanzig Projektile. Der dunkelblonde Fallensteller mit dem deutschen Akzent überprüfte gewissenhaft die Waffe und sagte: »Ich werde mich im Northway’s Inn postieren, Rick. Soll ich Sandy etwas ausrichten?«
»Sag ihr, sie soll dir nicht zuviel Schnaps ausschenken«, meinte Logan grinsend. »Das verträgt sich nicht mit der Zielsicherheit.«
Moreau zog den Mund schief. »Ich wünschte, ich wäre in Köln geblieben«, sagte er melancholisch. »Da hat man mir nie solche Ratschläge gegeben.«
Logan klopfte ihm begütigend auf die Schulter und schob ihn behutsam nach draußen. Dann wandte er sich um.
Nur noch Chroschka, Heartley und Nogger befanden sich in seinem Büro, die anderen Männer hatten bereits ihre Verteidigungsstellungen eingenommen und warteten auf das Auftauchen der Vampire.
»Professor, Mister Chroschka, Sie bleiben hier und halten die Hauptstraße im Auge, außerdem müssen Sie die eingehenden Meldungen der Posten entgegennehmen.
Nogger und ich begeben uns jetzt zum Alyeska-Camp und patrouillieren danach rund um Bunker’s Hope. In regelmäßigen Abständen werden wir uns melden.«
Heartley lächelte ihm zu.
»Viel Glück, Patrick!«
Die beiden Männer verließen die Polizeistation.
Durch die Straße jaulte der Sturm, blies die Schneeflocken in einem wilden Reigen hin und her, zerrte an den Häusern, ließ sie ächzen unter seiner Gewalt und verschleierte nahezu völlig den Blick auf die Umgebung.
Die Kälte raubte Logan fast den Atem. Die Temperatur war seit Beginn des Unwetters mit Sicherheit noch um zehn, fünfzehn Grad gefallen, und innerhalb weniger Sekunden fraß sich die Kälte durch das Material der Kleidung und überzog die Haut mit blauen Punkten.
Der Lärm war ohrenbetäubend und riß einem jedes Wort vom Mund; ein Heulen und Brüllen, als hätten sich alle Tore der Hölle aufgetan, um den Menschen zu verschlingen.
Logan umklammerte das Gewehr in der eingefetteten Schutzhülle fester. Angestrengt versuchte er die Dunkelheit und das wilde Durcheinander des Schneetreibens zu durchdringen.
Aus den Häusern an der Straße drang kein einziger Lichtstrahl. Offenbar hatten die Leute Chroschkas Warnungen beherzigt und sämtliche Verschlage geschlossen. Der Sturm tat sein übriges, um alle Vorsichtsmaßnahmen plausibel erscheinen zu lassen.
Logan gab Nogger ein Zeichen, und gemeinsam stemmten sich die Männer gegen die Gewalt des Sturmes und kämpften sich gebückt die Straße hinunter, bis zur Hüfte im Schnee eingesunken und schnell mit den großen Flocken lückenlos bedeckt, so daß ihre Körper mit der farblosen Umgebung verschmolzen.
Von dem Dachfenster eines der Häuser wurde mit einer starken Taschenlampe ein Blinksignal gegeben. Logan schaltete seinen Scheinwerfer ebenfalls ein und blinkte zurück. Das dort oben mußte Tomtom Kezikewa sein.
Alles in Ordnung, morste der Eskimo.
Logan war beruhigt. Die Eisvampire waren also noch nicht in Bunker’s Hope eingedrungen.
Nogger und Logan wandten sich nach rechts, in eine kurze Seitenstraße, die schon nach wenigen Metern zu einem verschneiten Feldweg wurde, der zum Camp der Alyeska führte.
Das Camp lag nur knapp zehn Minuten entfernt, aber diese Zeitangabe galt bei ruhigem Wetter, und Logan fürchtete, daß sie mehr als eine halbe Stunde brauchen würden, um bei dem Blizzard das Lager zu erreichen; von Verzögerungen infolge Orientierungsschwierigkeiten oder Schneeverwehungen ganz abgesehen.
Trotz der Gesichtsmaske wurde Logans Nase bald gefühllos. Den Kopf gesenkt, stapfte er langsam und methodisch weiter, neben ihm Nogger in der gleichen
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