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Eisweihnacht

Eisweihnacht

Titel: Eisweihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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deinem Elternhause sein.»
    So, dachte Elise freudig, jetzt bin ich rehabilitiert. Auch Papa rechnet nicht damit, dass ich noch
vor
Weihnachten als überstürzte Braut zur Notheirat nach Dingelstedt fahre! Dummerweise war die Tante nicht da, die ihr diesen Brocken aufgetischt hatte, den Elise zu Recht nicht essen wollte.
    «Ach, ich freu mich so», sagte sie. «Danke, Papa.»
    «Morgen, Gehling», sagte der Vater, als ob er Gehling jetzt erst bemerke. «Wollen Sie so früh schon die Gegenwart meiner Elise genießen? Wie Sie sehen, das Mädchen wird Sie als Hausfrau nicht blamieren. Sie ist immer früh auf den Beinen, meist vor mir. – Wir sprechen übrigens gerade von einem Waisenjungen, den Elise vorläufig bei uns aufgenommen hat. Übrigens, Elise, Lottchen sagt, du warst heute schon bei dem Sohn von dem verstorbenen Goldfarb, was hast du da erfahren?»

    «Gar nichts», schüttelte Elise den Kopf. «Der war gerade nach Thüringen aufgebrochen, als ich kam. Wir werden uns noch gedulden müssen.»
    «Na, umso besser. Dann bleibt das Kerlchen noch eine Weile hier, und der Weihnachtsschmuck ist nicht umsonst», sagte der Vater hoch erfreut. Das ist ja unglaublich, dachte Elise und verkniff sich ein Grinsen. Wie hatte der Vater zuerst auf Josua und Marie geschimpft. Doch die Wörter
Vagabunden
und
Schmarotzer
hatte er seit gestern Mittag nicht benutzt. Es liegt wohl an Marie, dass er so milde und so guter Laune ist, dachte Elise. Deren Geschichte hat ihn mit seinem Liebeskummer um Helena versöhnt. Nun kann er sich einreden, dass nicht er, sondern Helena die Verliererin ist, die ihm bestimmt jeden Tag nachweint, aber nicht wagt, zurückzukommen.
    «Soll ich die Kiste irgendwo hin…», begann Elise, da betraten gleich zwei weitere Personen den Raum: Der Pfarrer Wartenstein und dahinter die Tante. «Na, kann man schon gratulieren?», fragte Wartenstein. Elise hätte am liebsten mit den Augen gerollt. «Ja, zu einem guten Kauf von Christbaumschmuck», sagte sie spöttisch, womit sie Wartenstein ein neues Thema gegeben hatte.
    «Nein, mein lieber Best!», rief der entsetzt. «
Et tu, Brute!
Nun fangen Sie also auch mit dieser Unsitte an!»
    Jetzt kamen Line und Trine herein mit Tabletts voller Kaffeegeschirr und Weihnachtsplätzchen. Was sollte das werden? Frühstück? Es war kurz nach neun. Elise seufzte, nahm dem Vater die Kiste ab, stellte sie in die nächste Ecke und setzte sich. Kaum saß sie, begann die Tante sich mehr oder minder verklausuliert und vor aller Ohren bei Gehling zu erkundigen, wie denn sein
Tête-à-Tête
mit Elise verlaufen sei. Hatte sie der Tante nicht gestern erst gesagt, sie solle sich nicht einmischen? Unglaublich, wirklich.
    Und dann wurde es noch unglaublicher.
    Line tauchte neuerlich in der Stubentür auf und knetete ihre Hände über der Schürze. «Da wär ein Herr an der Tür. Und er sagt, wenn ich ihn net neilasse, dann kommt er trotzdem.»
    «Also –», begann der Vater entrüstet, und dann stand Carl im Zimmer. Elise wurde es schwindelig, kurz drehte sich alles, doch dann hatte sie sich wieder gefangen. Der Vater brüllte irgendwas von Unverfrorenheit und Dreistigkeit und Verbrecher, Carl sagte einfach nichts, Elise hielt ebenfalls still, weil es keinen Zweck hatte, den Vater zu unterbrechen. Und als der Kaufmann Best mit Brüllen fertig war, sagte Carl ganz ruhig: «Ich komme mit einer großen weißen Fahne.»
    «Na, da bin ich mal gespannt», fauchte Best. «Wie untersteht er sich überhaupt, der Lump – ach, was rede ich.
O tempora, o mores.
» Die Tante saß in Schreckstarre, die Pfarrer sahen sich vielsagend an. Carl griff die einzig verbliebene freie Sitzgelegenheit, einen hohen, schmalen Stuhl, stellte ihn zurecht und nahm Platz. «Ihre liebe Elise war gestern bei mir, um mich zu überreden, Ihrem Geschäft keine Schwierigkeiten mehr zu machen. Ich habe mich mit Riemenschneider besprochen und möchte Sie nun zu einem Treffen mit Riemenschneider und mir einladen, am besten heute Abend noch, oder wann es Ihnen passt. Riemenschneider würde Ihnen eine Fusion anbieten.»
    Da war Elise mit einem Mal aus der Aufregung der letzten Tage und den wenigen Sekunden siebtem Himmel von eben mit beiden Beinen zurück auf dem Boden. Das also hatte ihr Brief bewirkt: Carl war nicht mehr böse auf sie. Er lenkte ein, versuchte einen Kompromiss. Sie würden nicht bankrott gehen. Elise konnte zu Hause wohnen bleiben, wenn sie wollte. Mehr nicht. Carl war über dreißig Jahre alt und in guter

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