Eisweihnacht
Doktor Hoffmann, den du bestellt hast, für den Josua. Der hat sich auch gewundert, dass du zum vereinbarten Termin nicht da bist, ihn zu empfangen. Es war wirklich unverantwortlich von dir, so lange fortzubleiben.»
«Nun ja», sagte Elise. «Wenn ich mich von jetzt auf gleich darauf einstellen soll, einen Fremden zu ehelichen, dann wird sich der Doktor Hoffmann auch drauf einstellen können, dass er statt vom Fräulein Elise von Frau Lotte empfangen wird. Solange sein Patient ja immerhin noch anwesend ist.»
«Ach, Elischen», seufzte die Tante gedehnt. Elise gab ihrer Tante ein gequältes Lächeln und verschwand aus dem Zimmer. Da sie im Augenblick in der Tante Schlafzimmer nächtigte, würde man sich heute Abend ohnehin noch sehen.
Vielleicht aber, dachte sie, wurde es morgen Zeit, das Gästezimmer zu heizen und zu beziehen. Dann konnte Elise mal alleine sein, ohne sich draußen die Nase und die Ohren abzufrieren.
E lise konnte nicht schlafen. Wie sie es drehte und wendete, ihre Gedanken kamen von Carl nicht los. Schwester Bärbel hatte das prophezeit, als sie sie um Rat gefragt hatte. «Du musst einen Schlussstrich ziehen», hatte sie gesagt. «Sonst wird er dir immer im Kopf herumgehen. Sonst sitzt du mit deinem Gehling in Dingelstedt und denkst die ganze Zeit, dass der Carl Wagner doch besser gewesen wäre. Pass auf, du schreibst dem heut noch einen Brief. Und da schreibst du rein: Wenn ihm je irgendwas an dir gelegen hat, dann soll er dir versprechen, damit aufzuhören, dir und Vater das Geschäft zu ruinieren. Schriftlich soll er’s dir versprechen. Und wenn er sich weigert, wie zu erwarten, nun, dann weißt du eben definitiv, woran du mit ihm bist und dass er ein mieser Hund ist und du keine Gedanken mehr an ihn verschwenden darfst.»
Bärbel erschien immer alles so einfach. Alles war für sie gut oder böse, schwarz oder weiß. Auch ihr Hass auf Vaters zweite Frau Helena war klar und ohne Zweifel gewesen. (Manchmal kam Elise der Gedanke, ob Helena nicht geblieben wäre, wenn ihr die Stieftöchter nicht so zugesetzt hätten. Helena hatte es zweifellos nicht schön gehabt in ihren beiden Jahren als die zweite Frau Best.) Elise wälzte sich und wälzte sich. Und kam endlich zu der Einsicht, dass Bärbel recht hatte. Sie musste einen Schlussstrich ziehen. Sie musste etwas Unklares klar machen, sonst würde sie nie wieder Ruhe finden.
Gegen ein Uhr nachts schlüpfte Elise unter der Daunendecke hervor, die sie mit der Tante teilte, und stand leise auf. Mit den Pantoffeln in der Hand, ohne etwas überzuziehen, schlich sie auf Zehenspitzen über die knarrenden Dielen, öffnete sachte die Tür und verließ das Zimmer, um sich zu ihrem eigenen zu begeben.
Leise ließ sie sich ein. Das Feuer im Kamin brannte hier, gab Licht und Wärme. Marie erwachte bei Elises Hereinkommen, wälzte sich zur Seite und sah sie schlaftrunken und fragend an. Elise legte den Finger auf die Lippen und machte ein Zeichen, dass sie zur Schreibkommode wolle und Marie weiterschlafen könne.
Im flackernden Licht griff sie zu Tinte und Stahlfeder. Merkwürdigerweise flossen die Worte fast von selbst aufs Papier. Und es waren andere, als Schwester Bärbel diktiert hätte.
Lieber Carl,
ich will gar nicht viel darum herumreden. Wenn ich damals vieles falsch gemacht habe, dann war es nicht Mangel an Liebe, sondern Mangel an Mut und an Selbstvertrauen. Du hast gesagt, ich hätte dich fallenlassen wie eine heiße Kartoffel. Stell dir vor, ich habe genau dasselbe von dir gedacht.
Weil ich damals so feige war, will ich heute zum Ausgleich mutiger sein, als es sich gebührt. Bitte lach mich nicht aus, dass ich so plump bin. Ich habe nie einen Mann lieber gehabt als dich, und ich frage dich hiermit, ob du mich heiraten willst. Ich weiß, das ist nach allem ein bisschen unwahrscheinlich. Aber ich will wenigstens gefragt haben, weil ich fürchte, dass du es in deinem Stolz nicht tun würdest, selbst wenn du wolltest.
Deine, trotz allem deine
Elise
Als der Brief beendet war, versiegelt und adressiert, war Elise viel ruhiger geworden. Was sie tat, war verrückt und peinlich, aber es war richtig. Morgen früh als Erstes würde sie Marie den Brief zum Zustellen geben. Sie schlich sich zurück ins kalte Schlafzimmer der Tante, und jetzt konnte sie sogar schlafen.
D ie ganze Nacht hatte es in dichten Flocken geschneit. Der Neuschnee lag fast eine Elle hoch, darüber ragten alle paar Schritte am Wegesrand die Gipfel der zusammengeschippten
Weitere Kostenlose Bücher