Eisweihnacht
Wahrheit. Mein Gott.»
«Ähem, Papa …»
«Ja?»
«Josua rekonvalesziert doch noch. Wäre es nicht zu aufregend für ihn, jetzt zu erfahren, dass der Mann, den er für seinen Vater hält, nicht sein Vater war? Vielleicht sagst du ihm fürs Erste, wir hätten erfahren, dass du auch ein Onkel von ihm bist, und er könne für immer bei uns bleiben. Da wird er sich bestimmt freuen. Und den Rest bringen wir ihm bei, wenn er wieder gesund ist.»
«Also, sage mal! Ich werde doch dem Jungen noch mitteilen dürfen, wer sein Vater … die Helena, diese … ach.» Best kam zwei Schritte zurück und legte seiner Tochter die Hand auf die Schulter. «Weißt du, was, Elise? Dass du dich mit dem Wagner einlässt nach alledem, find ich eigentlich nicht gut, er benutzt dich doch, um mich zu erpressen, äh, ich meine, letztlich … aber hier hast du ausnahmsweise recht. Die ganze Wahrheit werd ich meinem Jungen später sagen. Ich verrate ihm jetzt nur, dass er bleiben darf und dass wir verwandt sind.»
Der Kaufmann Best ging hoch zu seinem verlorenen Sohn und blieb fast eine Stunde oben. Gleich danach verschwand er nochmals zum Weihnachtsmarkt, um eine Ritterburg und Kinderbücher und einen Berg Bekleidung für das Kind zu erstehen.
Der Pfarrer Gehling entschwand am selben Tag gen Dingelstedt in seine Pfarrei, und die Tante, o Wunder, verabschiedete ihn und blieb noch da, weil alles andere «so kurz vor Weihnachten und so überstürzt» nicht schicklich gewesen wäre. Elise heckte derweil mit Marie geheime Pläne aus, was zu tun wäre, falls Maries Eltern ihre Tochter nicht aufnehmen wollten. Der Haushalt des Vaters würde demnächst um zwei Frauenspersonen ärmer sein, und Elise war zuversichtlich, Marie in der einen oder anderen Form bei ihrem momentan so milde gestimmten Vater unterbringen zu können, zu Not auch mit Kind, falls sie tatsächlich eines erwartete.
Außerdem schrieb Elise einen Brief an die Familie Wormser in Camberg, in dem sie erklärte, dass Josua bei ihnen sei und es ihm trotz erfrorener Zehen gutgehe (ganz zart deutete sie an, dass sie das Verschicken des Jungen bei eisigem Winterwetter und ohne Begleitung nicht guthieß), und kündigte an, im Frühjahr oder Sommer mit dem Jungen einmal vorbeizukommen. Falls sich in Camberg noch Sachen von ihm befänden, wie etwa Schulzeug oder Erinnerungsstücke seiner Mutter, solle man diese bitte solange aufbewahren.
Am Nachmittag kam Carl zu Besuch, und Tantchen war ausnahmsweise so diskret, sie beide alleine zu lassen. Da saß nun Elise mit Carl in der blauen Stube, wo sie gestern noch Gehling vor sich gehabt hatte, und sie beide waren einfach nur glücklich, zusammen zu sein. Viel zu erzählen gab es auch. Aber dafür hatten sie noch ewig Zeit.
Elise musste lächeln, als Carl nach einer halben Stunde plötzlich ganz ernst anfing, ihr auseinanderzusetzen, wie viel er verdiene, genau wie gestern Gehling (das Gehalt war ziemlich genau gleich hoch), und dass sie sich nur eine bescheidene Wohnung würden leisten können, am besten in Sachsenhausen oder in der Altstadt, also den weniger guten Vierteln. Es werde zwar in Riemenschneiders Haus oben dessen Wohnung frei, aber er gehe davon aus, dass es für die Firma lukrativer sei, diese teuer zu vermieten, statt den Geschäftsführer hineinzusetzen. Man müsse ja aus dem Geschäft auch den Riemenschneider’schen Sohn versorgen, das koste einiges.
«Solange wir beide zusammen hineinpassen, ist mir jede Wohnung recht», sagte Elise fröhlich, die gern in die helle, großzügige Zeilwohnung gezogen wäre. Aber wenn das finanziell nicht ging, würde sie sich fügen, sie war ja gewohnt, dass man Geld zusammenhielt. (Bald würde sie aber einmal selbst in die Bücher sehen, wie eigentlich die fusionierte Handelscompagnie dastand.) Hauptsache, sie war in Frankfurt mit Carl und nicht in Dingelstedt mit Gehling. «Ich habe dich immer noch nicht gefragt, wo du jetzt wohnst», fiel ihr auf. «Zur Untermiete», sagte Carl. «Elise, ich habe die ganze Zeit gespart, damit ich mich irgendwann mal als arriviert vor deinen Vater stellen kann und er sich ärgert, dass er mich damals fristlos rausgeschmissen hat.»
«Er wird seinen Fehler niemals zugeben», sagte Elise. «Aber das macht ja jetzt nichts mehr. – Da fällt mir ein, ich muss dir noch was sagen.» Sie erzählte ihm die ganze Geschichte mit Josua, die Carl staunend anhörte. Dann gab sie ihrer Sorge Ausdruck, ob dies Schwierigkeiten für den Vertrag mit Riemenschneider
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