Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eisweihnacht

Eisweihnacht

Titel: Eisweihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
Vom Netzwerk:
unartig und habe mal reingesehen. Ich wollte doch wissen, was mit Josua ist.»
    «Na ja, das ist nicht so schlimm. Ich hätte das wohl auch noch getan. Und? Stand irgendwas Unerwartetes drin?»
    Marie schluckte. «Fräulein Best», sagte sie, «Sie sollten den Brief jetzt lesen.»
    Elise sah Marie prüfend an. Was stimmte denn hier nicht? War Josua doch Maries Sohn und der Brief war ein Ablenkungsmanöver gewesen? Hatte deswegen die Schwiegertochter des Goldfarb von keinen Verwandten in Camberg gewusst?
    Elise ging zur Schreibkommode und zog sie ruckartig auf. Als sie den Brief in die Hand nahm und entfaltete, fiel ein zweiter, noch versiegelter Umschlag heraus. Elise hob die Brauen, zuckte die Schultern und begann, das oberste Blatt in ihrer Hand zu lesen.
    Werter alter Freund,
     
    ich hoffe, dir geht es gut und alles läuft weiter so prächtig, wie als wir zuletzt von dir gehört haben. Wir sorgen uns etwas, weil du auf unseren letzten Brief nicht geantwortet hast, schieben das aber auf deine vielen Geschäfte. Kannst du uns wohl einen großen Gefallen tun? Anbei findest du einen lieben Jungen. Sein jetziger Name ist Jehoschua oder Josua Anspach. Den Jungen hat mein Schwager (der jüngere Bruder meiner Frau) als seinen Sohn aufgezogen, obwohl er sein Sohn nicht ist, weder leiblich noch auf dem Papier. Seine Frau, oder eher Konkubine, war mit dem Kind schwanger, als sie sich mit meinem Schwager zusammengetan hat. Geheiratet haben die beiden nie, wegen verschiedener rechtlicher Hürden, obwohl sie sich hier in der Stadt als verheiratet ausgegeben haben.
    Das Kind weiß von alledem nichts. Es denkt, mein Schwager, Löb «Ludwig» Anspach, wäre sein Vater gewesen. Mein Schwager ist letzten Sommer gestorben. Leider ist jetzt auch die Mutter tot (es war das Kindbett, nichts Ansteckendes, keine Sorge, ich kenne deine Hypochondrie). Da wir mit den beiden jüngeren Kindern des Paares mehr als genug zu tun haben, glauben wir, dass es für den kleinen Joschel besser wäre, wenn sein leiblicher Vater ihn jetzt übernähme. Nur muss man es dem Manne wie dem Kind schonend beibringen. Der Vater wird auf die Mutter nicht gerade gut zu sprechen sein. Diese, eine damals noch sehr junge Person, hat den Vater, mit dem sie verheiratet war, sehr plötzlich verlassen, um sich mit meinem Schwager zusammenzutun. Soweit ich weiß, ist sie einfach verschwunden und hat sich nie wieder bei ihrem Ehemann gemeldet. Wie gesagt, sie war damals schon guter Hoffnung. Als es ans Gebären ging, ist sie mit meiner Frau nach Rotenburg, wo sie das Kind unter dem Namen seines wahren Vaters hat eintragen lassen. Eine Geburtsurkunde haben wir besorgt. Sie liegt mit im beiliegenden Umschlag.
    Der wahre Vater ist der Frankfurter Lebensmittelgroßhändler Best. Die Mutter, also die Konkubine meines Schwagers, war dessen zweite Frau Helena, geborene Kalter. Bitte sei so lieb, nimm Josua fürs Erste bei dir auf, bis die Dinge geklärt sind. Gehe am besten persönlich zu dem Kaufmann Best, er soll im Tuchgaden wohnen (oder suche nach seinen Töchtern, falls er nicht mehr lebt), und bringe dem Mann sanft bei, wie die Verhältnisse liegen. Anbei ein Brief an ihn, da steht alles drin, und wie gesagt, auch die Geburtsurkunde liegt bei. Er wird das Kind nehmen müssen, es ist ja seins, vor Gott wie vor dem Gesetz. Bloß hat die Helena, als sie ihren Tod ahnte, sehr große Sorge gehabt, dass der Best seine Wut auf sie an dem Jungen auslässt und ihn verstößt. Vielleicht kannst du mäßigend einwirken und zusehen, dass alles in die rechten Wege kommt. Wir wären dir unendlich dankbar. Falls es unerwartete Schwierigkeiten gibt, schreibe, dann denken wir neu nach. Schreibe auf jeden Fall, wir freuen uns immer, von dir zu hören.
     
    Mit den herzlichsten Grüßen von deinem alt gewordenen Spielkameraden
     
    Zacharias Seckel Wormser
    Elise musste sich erst einmal setzen. «Mein Gott», hauchte sie Marie schließlich zu, die vor ihr kniete. «Das ist ja unglaublich. Und eigentlich ganz wunderbar. Aber Marie … wir sollten es meinem Vater noch nicht sofort sagen. Er hatte heute schon so viel Aufregung. Ich habe allmählich Angst um sein Herz.»
    «Fräulein Best», sagte Marie, «jetzt sehe ich erst, Sie haben geweint, was ist denn passiert? Ich habe ganz laute Stimmen von unten gehört.»
    «Gar nichts ist passiert, oder vielmehr, nichts Schlimmes, nein, sondern es ist einiges ganz wunderbar in Ordnung gekommen.» Sie nahm Marie an den Schultern. «Und Sie werden

Weitere Kostenlose Bücher