Eisweihnacht
Stellung. Er war doch sicher längst verheiratet. Er konnte sie nicht heiraten, selbst wenn er gewollt hätte. Was zu bezweifeln war. Denn er hatte eine halbbankrotte Kaufmannstochter und Hinkeliese absolut nicht mehr nötig.
«Das ist ja Erpressung», höhnte unterdessen der Vater. «Von wegen Fusion, schlucken will er mich! Die Fusion hat Riemenschneider mir vor drei Jahren schon angeboten, und ich habe nein gesagt, und ich sage heute wieder nein, lieber gehe ich bankrott durch eure Schweinereien, als dass ich mich erpressen lasse!»
Elise legte entsetzt eine Hand über die Augen. Wie konnte der Vater nur so dumm und undiplomatisch sein. Jetzt hatte sie gar nichts erreicht, gar nichts.
Carl aber blieb ganz ruhig. «Er will Sie nicht schlucken. Im Gegenteil. Es wäre für Sie vorteilhaft. Riemenschneider will sich aus dem Geschäft zurückziehen und zu seiner Tochter und den Enkeln nach Triest, da sagt ihm das Klima besser zu. Der Patron sollen Sie sein. Für den Sohn hier in Frankfurt hätte Riemenschneider gerne eine Rente garantiert. Sie wissen, der ist ein bisschen seltsam, nimmt Opium und ist fürs Geschäft nicht zu gebrauchen. Was die Erpressung anbelangt … Sie haben recht, es ist schon eine Erpressung. Aber die läge woanders.»
«Wie!?
Merde
, verdammte! Da kommt noch was? Wagner, Sie ehrloser Wurm, Sie kolossal frecher! Was unterstehen Sie sich?»
Carl räusperte sich. «Die Kröte, die Sie schlucken müssten, ist, dass Ihre Tochter und ich heute Nacht auf wundersame Weise zu dem Schluss gekommen sind, dass wir heiraten wollen. Dazu hätten wir gern Ihren Segen. Und dann müssten Sie mir natürlich erlauben, Geschäftsführer zu bleiben, damit wir auch von was leben können.»
Ein Raunen ging durch den Raum. «Also so was!», hörte man von Wartenstein. «Ach Gottchen», gehaucht von Tante Lotte. Lauter war der Kaufmann Best: «Was – wie – ich – Elise!» Entgeistert und rundäugig starrte er seine Tochter an wie eine Verräterin.
«Es stimmt, was Carl sagt, Papa», sagte Elise, die sich wie im Traum fühlte. «Ich hab ihm heut früh einen Brief geschickt. Und ehrlich gesagt, ich bin so glücklich, dass er gekommen ist, und ich fang gleich an zu weinen.» Elise strahlte mit feuchten Augen Carl an. Ihr war ganz egal, was die anderen dachten. «Caroline Elisabeth Best!», schimpfte der Vater. «Was bist du nur für …» Doch da war er plötzlich still. Ganz still. Und er sah … na ja. Eigentlich sah er nach und nach immer zufriedener aus.
Und dann lief Elise aus dem Zimmer in die Diele, weil ihr ernsthaft die Tränen kamen und sie einen Moment allein sein wollte, und Carl kam hinterher und nahm sie in den Arm, und dann heulte Elise erst recht und lachte noch dazu und hielt ihn, so fest sie konnte, und irgendwann, sie stand in enger Umarmung mit Carl, stand plötzlich der Vater daneben und sagte entsetzt: «Elise, du glaubst es nicht. Was sagt eben der Gehling? Er will jetzt deine Tante Lotte heiraten. Und sie hat ja gesagt.» Am Ende lachten alle drei, während Elise versuchte, Carl zu erklären, wer Gehling war, worauf Carl murmelte «Mein Gott, das war ja in letzter Minute», und der Vater mitteilte, er sei bei näherem Betrachten reichlich froh, dass ihm die Elise doch nicht nach Preußen verschwinde. Man gewöhne sich verdammt an eine Tochter im Laufe der Jahre. Da fing Elise wieder an zu heulen und sagte, jetzt reiche es aber, sie werde jetzt hochgehen und sich das Gesicht waschen und danach keine Tränen mehr vergießen. (Aber Carl hatte eben auch Tränen in den Augen gehabt, sie hatte es genau gesehen.) Und übrigens würde sie ihn irgendwann schon noch mal fragen, warum er das wirklich angefangen hatte, ihnen die Preise zu verderben, aber eigentlich war es jetzt nicht mehr so wichtig.
Elise konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt so aufgeregt glücklich die düstere Stiege zum ersten Stock hochgelaufen war. Oben sagte sie: «Marie, Josua, ihr ahnt nicht …», und brach ab, weil Marie den Finger auf die Lippen legte, da Josua schlief, aber nicht nur deshalb, denn nun erkannte Elise an Maries Gesicht, dass etwas überhaupt gar nicht in Ordnung war. «Ist etwas geschehen?», flüsterte sie. «Geht es Ihnen oder Josua nicht gut?»
«Doch, doch, es ist nur …» Marie hielt jetzt im Stehen die Hände im Schoß gefaltet. «Bitte denken Sie nicht schlecht von mir», flüsterte sie, «es ist nur, ich habe … da liegt doch jetzt der Brief in der Schublade, und ich war so
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