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Eiswind - Gladow, S: Eiswind

Titel: Eiswind - Gladow, S: Eiswind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gladow
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häufiger mal am Wochenende gearbeitet.«
    Bendt nickte. Ihm war bekannt, dass aufgrund von Sparmaßnahmen der Regierung bei der Staatsanwaltschaft die gleichen Personalnöte herrschten wie bei der Kripo.
    »Na, und in letzter Zeit scheint sie ständig hier zu sein.«
    Sie tauschten einen verständnisvollen Blick und stiegen die Treppe in den dritten Stock hinauf. Am Ende des Flures, in den durch die verstaubten Fenster nur diffuses Licht fiel, lag das Büro von Anna Lorenz, deren Anwesenheit durch einen Lichtschein am unteren Türrand sichtbar wurde.
    »Herein«, beantwortete sie das Klopfen und richtete ihren Blick zur Tür.
    Sie war nicht besonders begeistert gewesen, als Hauptkommissar Braun gegen Mittag angerufen hatte, um ihr ihren neuen Fall zu unterbreiten. Zwar war es weit interessanter, in einem Mordfall zu ermitteln, als den Serienbetrüger einer Versandhauskette zu verfolgen, aber gerade heute war ihr nicht nach Kommunikation zumute. Allerdings ging es ihr inzwischen besser als am Vormittag. Das Laufen hatte ihr gut getan, und sie hatte sich emotional wieder einigermaßen im Griff. Dennoch steckte ihr die unruhige Nacht immer noch in den Gliedern, und sie fühlte sich in ihren Jeans und dem alten grauen Kapuzenpullover auch
nicht nach einer Dienstbesprechung, mit der sie am Sonntag auch nicht hatte rechnen müssen. Sie trug kein Make-up und hatte ihre Haare lediglich zu einem nachlässigen Knoten aufgebunden, was ihr jetzt peinlich auffiel.
    Sie mochte unglücklich sein, aber eitel war sie trotzdem. Zudem bemühte sie sich stets, wenigstens im Dienst ihr privates Unglück nicht noch durch eine ungepflegte Erscheinung zu unterstreichen. Nichts hasste sie mehr, als bemitleidet zu werden. Dementsprechend schminkte sie sich an jedem Tag der Woche und achtete peinlich genau auf ihre Garderobe, um immerhin äußerlich Haltung zu bewahren.
    Als die beiden Beamten ihren Besuch angekündigt hatten, war sie verärgert gewesen, dass sie nicht einmal einen Lippenstift, geschweige denn Wimperntusche dabeihatte. Sie hatte lediglich ihre störrischen Locken hochstecken können, was den jämmerlichen Gesamteindruck ihrer Meinung nach nicht wettmachen konnte.
    Sie wusste jetzt schon, dass der Hauptkommissar sie mit einem besorgten Papa-Blick mustern würde. Die Tatsache, dass er seinen gut aussehenden Kollegen im Schlepptau hatte, den sie zwar nicht sonderlich mochte, vor dem sie aber dennoch nicht als Vogelscheuche dastehen wollte, machte es nicht besser.
    Hubert war mit einem Satz an der Tür und begrüßte Braun schwanzwedelnd, als sie eintraten.
    »Hallo, Frau Lorenz«, sagte Braun herzlich und fuhr Hubert über das struppige schwarze Fell. Wie immer
fand er, dass die riesige Promenadenmischung aus Bernhardiner, Neufundländer und wer weiß was noch mehr einem Kalb als einem Hund ähnelte.
    Als Hubert kritisch Bendts Bein beschnupperte, meinte Braun augenzwinkernd: »Ihr Hund hat Menschenkenntnis, stelle ich fest.«
    »Aber Geschmack hat er keinen«, gab Bendt grinsend zurück, »denn er scheint dich zu mögen.«
    Hauptkommissar Braun ersparte es sich zurückzufrotzeln und wandte sich wieder Anna zu. »Was machen Sie hier schon wieder am Wochenende?«, fragte er mit gespielter Strenge.
    »Einer muss ja wohl auf Sie warten«, antwortete sie schlagfertig.
    Er lächelte nachsichtig. Obwohl sie sich nach außen hin fröhlich gab, sah Braun sofort, dass es ihr nach wie vor schlecht ging. Er kannte sie jetzt schon eine ganze Weile und arbeitete gern mit ihr zusammen. Sie war intelligent und engagiert und stets hilfsbereit, wenn sie einen Staatsanwalt brauchten, der bereit war, auch außerhalb der Zuständigkeitsregelung einzuspringen und eine Entscheidung zu treffen.
    Er schätzte sie jedoch nicht nur als Juristin, sondern mochte sie auch als Mensch. Ihr Schicksal berührte ihn. Vielleicht lag es daran, dass er sich selbst an den Gedanken gewöhnen müsste, irgendwann Opa zu werden, und sie ihn an seine Töchter erinnerte, wenngleich sie auch älter war. Er hatte sich aufrichtig für sie gefreut, als sie ihm strahlend von dem nahenden Mutterschutz berichtet hatte, und sich erlaubt, anerkennend
über den im fünften Monat schon recht stattlichen Bauch zu streicheln.
    Sie hatte mit jeder Pore den Optimismus und die Freude einer Frau ausgestrahlt, die vor dem Beginn des Abenteuers »Mutter werden« steht. Soweit er wusste, hatte sie das Kind nur wenige Wochen darauf zur Welt bringen müssen, ohne dass es eine Chance gegeben

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