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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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hatte, war früher als sonst in
Bozen eingetroffen. Vincenzo hatte sie in den »Braunwirt« eingeladen, zu einem
Mehr-Gänge-Menü mit sündhaft teuren Weinen. Schließlich gab es genug zu feiern:
das erste gemeinsame Wochenende seit langer Zeit, die kurzzeitige Rückkehr des
Sommers, das Ende der Brandserie. Später in seiner Wohnung durfte er erleben,
wie Giannas Temperament durch Sonne und Wärme erwachte. Sie war wenig
zimperlich, wenn es darum ging, im Bett ihre Wünsche zu äußern. Diesmal
schaffte sie es, ihn glatt zu überfordern. Nach mehr als vier Stunden konnte er
nicht mehr. Erschöpft schlief er ein.
    Am Samstagmorgen frühstückten sie ausgiebig, und danach brachen
sie zum ersten Mal gemeinsam zu seiner Bergrunde auf. Nachmittags standen sie
am Auener Joch, blickten schweigend um sich. Nie zuvor hatte Gianna solche
Ausblicke erlebt. Während sie in stiller Ehrfurcht nach Westen auf die gewaltige
Ortlergruppe schaute, beugte sich Vincenzo vor der Holzbank an dem großen
Wegweiser über seinen Rucksack. Es war nicht etwa der Tagesrucksack, sondern
der große Tourenrucksack, fünfzehn Kilogramm Gepäck, so viel wie bei
Hüttenwanderungen. Er wollte seiner Freundin an diesem Logenplatz etwas
Besonderes bieten, um ihr seine geliebte Heimat schmackhafter zu machen.
Vincenzo förderte Brot, Südtiroler Speck, diverse Käsesorten, Prosecco,
Brunello, Wasser und eine Thermoskanne zutage, breitete eine weiße Tischdecke
über die Bank und deckte sie mit Sektkelchen, Rotweingläsern und echtem
Porzellangeschirr.
    Das Klirren des Geschirrs riss Gianna aus ihrer Bewunderung. Sie
drehte sich um, und ihr Blick fiel auf die komplett gedeckte Tafel, die sie mit
offenem Mund anstarrte. »Mein Gott, Schatz, hast du das alles hier
hochgeschleppt?«
    Vincenzo ging auf sie zu, nahm sie in den Arm und küsste sie. »Ja,
meine Süße, für dich. Ich möchte, dass du selbst erlebst, wie herrlich es ist,
mitten in den Bergen zu picknicken. Das Auener Joch ist ein traumhafter
Aussichtsplatz, mühelos zu erreichen. Trotzdem begegnen mir hier nicht viele
Menschen. Es gibt in Südtirol viele solcher Plätze, glaub mir.«
    Gianna lächelte ihren Rucksackträger liebevoll an. »Mein schöner
Kommissar, du lässt wirklich nichts unversucht, mich in deine Berge zu locken.
Immerhin sind deine Methoden im Laufe der Zeit um einiges subtiler geworden.«
    Vincenzo und Gianna hatten vieles gemeinsam. Sie liebten sich von
Herzen, planten eine gemeinsame Zukunft. Hinsichtlich der Frage, wie diese
Zukunft aussehen sollte, herrschte indes Uneinigkeit, denn eines stand von
Anfang an zwischen ihnen: Vincenzo war tief verwurzelt in seiner Südtiroler
Heimat, Gianna lebte in Mailand und arbeitete als Rechtsanwältin in der Kanzlei
ihrer Eltern. Er ging so oft in die Berge, wie es seine Zeit zuließ, fuhr Ski
oder setzte sich entspannt mit einem Glas Lagrein auf eine Bank und schaute in
die Natur. Sie mochte Mailand, liebte generell Städte. Er träumte von einer
eigenen Familie mit mindestens zwei Kindern, am liebsten auf einem großen Hof
im Sarntal. Sie war ehrgeizig, eine steile Karriere als Rechtsanwältin war ihr
oberstes Lebensziel. Sie konnte sich weder vorstellen, ihre Karriere gegen eine
Rolle als Mutter einzutauschen, noch dachte sie daran, Mailand zu verlassen, um
ein Dasein als Provinzanwältin zu fristen.
    Grinsend reichte Vincenzo seiner Freundin einen Sektkelch. »Prost,
meine geliebte Gianna, auf uns und auf gute Entscheidungen in der Zukunft!«
    Sie wusste, dass dieser romantische Vorstoß ihres schönen
Kommissars, wie sie ihn gerne liebevoll nannte, nichts an ihrem schwerwiegenden
Problem ändern würde. Aber sie fühlte sich geschmeichelt, weil er sie mit
solcher Inbrunst zu ködern versuchte. Und wie er so vor ihr stand und sie aus
seinen sanften, fast schwarzen Augen anlächelte, strahlte er eine große
Souveränität aus. Die Berge waren seine Welt. Hier war er zu Hause, nichts
konnte ihn erschüttern. Dieses Selbstbewusstsein liebte sie bei Männern.
    Sie betrachtete seinen drahtigen Oberkörper, der durch sein nass
geschwitztes Funktionsshirt zu sehen war. Sie blickte sich um. Nichts, kein
Mensch weit und breit. Entschlossen nahm sie ihm das Glas aus der Hand, sah ihm
in die Augen und griff ihm an den Gürtel. »Mein geliebter Vincenzo, du hast
recht, deine Heimat ist ungemein anregend. Aber nicht so wie du. Ich befürchte,
der Brunello muss warten.«
    Vincenzo wollte protestieren, weil das Joch zwar wenig frequentiert,
aber

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