Eiszeit in Bozen
zumute.
Nachdenklich blickte Maria Hofer ihm nach, als er langsam vom Hof
fuhr.
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Bozen, Montag, 4. Oktober
In Gedanken war Vincenzo noch bei seinem glücklichen
Wochenende, als er geistesabwesend das Protokoll zur Verhaftung des
Feuerteufels tippte. Vice-Questore Dottore Alessandro Baroncini bestand darauf,
gelöste Fälle schnell abzuschließen, und dazu gehörte leider ein Protokoll. Als
er endlich fertig war, widmete er sich der »Dolomiten – Tagblatt der
Südtiroler«, die er jeden Tag von Paolo Verdi, dem herzensguten Kollegen vom
Empfang, auf den Schreibtisch gelegt bekam. Verdi hatte ihm den Leitartikel
empfohlen. »Viel Spaß beim Lesen, Vincenzo. Der Fasciani lobt Euch über den
grünen Klee. Das ist Labsal fürs Ego.«
Vincenzo erinnerte sich gut an Fernando Fasciani. Der Journalist
hatte bei seinem ersten Mordfall eine wichtige Rolle gespielt. Zwar war er ein
Sensationsreporter wie aus dem Bilderbuch, trotzdem hatte er ein Gewissen.
Solch einen Verbündeten konnte ein Commissario in Bozen gut brauchen.
Als Vincenzo die Zeitung aufschlug, grinste ihm sein eigenes
Konterfei entgegen. Unter seinem Foto befand sich ein Artikel zur Verhaftung
des Brandstifters.
Feuerteufel endlich gefasst
Bozen – Der Brandstifter, der Bozen seit mehr
als einem halben Jahr in Atem gehalten hat, ist gefasst. Mindestens zehn Brände
gehen auf sein Konto. Die »Dolomiten« hat darüber berichtet. Mit jeder neuen
Brandstiftung wurde er dreister, seine Ziele größer und riskanter. Es war nur
noch eine Frage der Zeit, wann das erste Wohnhaus oder gar ein Kindergarten in
Flammen aufging. Viele Bozener Bürger trieb diese Angst um.
Damit ist es jetzt vorbei. Vincenzo Bellini,
ermittelnder Beamter der Questura Bozen, informierte unsere Zeitung über die
Details der Verhaftung. Demzufolge gelang es der Polizei am Freitag, den Täter,
Filippo G., zu überraschen, als er gerade einen Bretterverschlag in
Gries-Quirein in Brand setzte. Ein Übergreifen der Flammen auf das nahe gelegene
Wohnhaus konnte verhindert werden. Den entscheidenden Hinweis verdankten die
Ermittler einem Anwohner, der den Täter beobachtet hatte. Die Polizei rückte
mit zwei Mannschaftswagen an und umstellte den Brandstifter, der keine Chance
hatte zu entkommen. Dem schnellen, geordneten Zugriff unserer Polizei ist es zu
verdanken, dass die Menschen in Bozen wieder ruhig schlafen können.
Fernando Fasciani
Vincenzo schüttelte den Kopf. Typisch Fasciani. Er konnte
partout nicht sachlich bleiben. Wahrscheinlich durfte er es auch nicht. Schneller, geordneter Zugriff unserer Polizei. Von wegen!
Der Einsatz war nämlich alles andere als geordnet verlaufen.
Nachdem der Anruf des Augenzeugen in der Questura eingegangen war,
rannten ein paar Kollegen zu den Fahrzeugen und fuhren nach Gries, ohne
jeglichen Plan. Als sie das lodernde Feuer sahen, vergaßen sie sogar, die
Sirenen abzustellen, und hätten vor Hektik beinahe einen Unfall verursacht. Den
Brandstifter widerstandslos festzunehmen, war ihnen nur gelungen, weil dieser den
Blick nicht von seinem Werk lösen konnte. Er hatte gar nicht gemerkt, wie ihm
Handschellen angelegt wurden.
Es war Vincenzo natürlich erheblich lieber, sein Foto über einem schnellen, geordneten Zugriff zu sehen als im Zusammenhang
mit einer stümperhaften Zufallsaktion . Hauptsache,
der Fall war abgeschlossen, das Protokoll fertig.
Da es gerade nichts Wichtiges zu tun gab, beschloss Vincenzo,
endlich Ordnung in seinem chaotischen, von Papierstapeln überwucherten Büro zu
schaffen. Mittags würde er zu seinen Eltern in die Trattoria gehen, sich
bekochen lassen und dann auf direktem Wege nach Hause fahren. Er wollte
unbedingt die letzten sommerlichen Tage nutzen, denn zum Wochenende kündigte
der Wetterbericht einen jahreszeitlichen Umschwung an, der Herbst war da. Das
bedeutete winterliches Wetter in den Hochlagen, und für ihn hieß das: zum
letzten Mal in diesem Jahr die Bergrunde laufen, in Erinnerungen an das
vergangene Wochenende schwelgen, mit einer Flasche Forst-Bier auf dem Balkon
sitzen und am Telefon mit Gianna plaudern.
Sie hatte sich am Sonntagabend nicht mehr gemeldet. Wahrscheinlich
war sie nach der für sie recht anstrengenden Tour und den langen gemeinsamen
Nächten sofort ins Bett gegangen, als sie zu Hause ankam. Gianna besaß eine
beneidenswerte Fähigkeit: Wo immer sie war, jederzeit konnte sie sich hinlegen
und schlief sofort ein. Nichts konnte sie daran hindern, selbst am Mailänder
Hauptbahnhof war sie
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