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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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die Psychiatrie, schon gar nicht in einen
Hochsicherheitstrakt. Nichts deutete darauf hin, dass sein Chef ausnahmsweise
richtig liegen könnte. Sein Patient hörte weder Stimmen noch stellte er sich
als das große Genie dar, das nicht einmal Gott über sich hatte. Zerknirscht
hatte er Zabatino erzählt, wie es zu den Morden gekommen war. Er bereute sie
aus tiefster Seele.
    Einem Eusebio Zabatino konnte er nichts vormachen. Er erkannte mit
all seiner Erfahrung und Empathie, dass er einen Menschen vor sich hatte, der
tief bereute, der seine Verbrechen nur zu gerne ungeschehen machen würde. Ein
solcher Mann war nicht krank, er musste nicht behandelt werden. Neuroleptika
gab er ihm deshalb schon lange nicht mehr.
    Anfangs hatte ihm bei der Vorstellung, allein auf sich gestellt
einen Mörder therapieren zu müssen, geradezu gegraut. Er hatte Angst gehabt,
hatte seinen Patienten, den er noch gar nicht kannte, bereits gehasst. Schon
allein für seine Taten. Aber allmählich erkannte er, dass hinter diesem Mörder
ein Mensch steckte, der keineswegs eine Gefahr für die Allgemeinheit
darstellte. Er bedauerte seine Verfehlungen, hatte jedoch keine Lust, das
Idioten wie Zabatinos Chef auf die Nase zu binden. Zu ihm, Eusebio Zabatino,
hatte er schon nach kurzer Zeit Vertrauen gefasst.
    Zabatino war angetan von der Vernunft seines Patienten. Er wich
keiner Frage aus, war in allen Punkten offen, ehrlich, kooperativ. Zabatino
freute sich zunehmend auf seine Visiten. Sie philosophierten oft miteinander,
sein Patient zeigte reges Interesse und Anteilnahme an der Person seines
Psychiaters, an seinem Werdegang. Jedes einzelne Detail wollte er wissen:
Familie, Freunde, Wohnumfeld, Hobbys, was er am liebsten aß und trank … Niemals
meckerte der Mann, er beschwerte sich nicht und aggressiv wurde er schon gar
nicht. Wenn Zabatino es recht bedachte, war sein Patient der Einzige, dem er
sich anvertrauen konnte. Manchmal fragte er sich, wer bei Lichte besehen
eigentlich wen therapierte. Das war wahrhaftig verrückt.
    Zabatino gab den vierstelligen Code für die schwere Stahltür zur
Zelle seines Patienten ein. Er blickte in ein strahlendes Gesicht.
    »Mensch, Eusebio, ich dachte schon, du kommst heute gar nicht mehr!
Du bist mein einziger Kontakt zur Außenwelt. Dazu ein besonders liebenswerter.
Ein echter Freund. Ohne dich wäre ich restlos aufgeschmissen. Danke übrigens
für die leckere Erdbeertorte, die war echt klasse. Hätte nicht gedacht, dass
ein alleinlebender Single so gut backen kann. Setz dich. Willst du mich zuerst
ein bisschen therapieren, oder können wir gleich über interessantere Dinge
reden?«
    Zabatino fühlte sich leicht und unbeschwert. All sein Frust, seine
Enttäuschung fielen von ihm ab, wenn auch nur für diese kurzen Augenblicke. Er
setzte sich. »Bei dir gibt es nichts mehr zu therapieren. Ich werde mich
persönlich dafür einsetzen, dass du so schnell wie möglich rauskommst. Obwohl
ich mir damit selbst keinen Gefallen tue. Du warst mein einziger Lichtblick in
dieser vergessenen, heruntergekommenen Abteilung. Ohne dich wird mein Leben
noch trostloser.«

3
    Ultental, St. Pankraz, Dienstag, 28. September
    »Sie wollen das Haus tatsächlich für einen ganzen Monat
buchen?«
    »In der Tat, Signora, ich brauche für mein Projekt absolute Ruhe.
Ein Hof im Ultental ist dafür perfekt geeignet.«
    »Aha, was ist das denn für ein Projekt, wenn ich fragen darf, Herr,
Herr …?« Was für ein komischer Kauz.
    Mehr als vierzig Jahre lang hatte Maria Hofer mit ihrem Mann den Hof
bewirtschaftet. Eine kleine Landwirtschaft, an die hundert Kühe auf den
umliegenden Almen. Irgendwann waren die Kinder aus dem Haus. Keines, nicht
einmal ihr Ältester, zeigte Interesse, den elterlichen Betrieb zu übernehmen.
So war das mit dieser Generation. Anstatt die Familientradition fortzuführen,
zog es sie in die Städte. Sie wollten studieren, tolle Jobs, Geld, Karriere,
Autos.
    Vor sechs Jahren war ihr Mann nach einem Schlaganfall gestorben, und
plötzlich war sie alleine mit ihrem Hof. Keines ihrer Kinder lebte in Südtirol.
Sie konnte den Hof unmöglich allein bewirtschaften, von der Viehzucht ganz zu
schweigen. Daher verkaufte sie alle Tiere, baute den Hof zu Ferienwohnungen,
den alten Stall zu einem größeren Ferienhaus um. Sie schloss sich örtlichen
Werbegemeinschaften an, ließ sich beim Tourismusbüro registrieren. Bald kamen
genug Gäste, um sich über Wasser zu halten.
    Dieser Gast allerdings war eine neue Erfahrung. Er

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