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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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nachmittags mit Schal, Mütze und Handschuhen über den
Gletscher marschiert, um ein paar Stunden später in Meran oder Bozen im T-Shirt
einen kühlen Weißwein zu schlürfen. Obwohl im Norden Italiens gelegen, galt
Bozen als eine der wärmsten Städte des Landes, geschützt durch jene Bergriesen,
auf denen es immer eisig kalt war. Heute würde dieser sanfte, milde Teil der
Provinz für nie dagewesene Schlagzeilen sorgen.
    Er warf einen Blick auf seinen Höhenmesser. Elf Uhr. Der Luftdruck
fiel weiter mit bemerkenswerter Konstanz. Wenn ihn sein Gefühl nicht trog,
würde es spätestens gegen drei losgehen. Hoffentlich kam kein Gewitter. Nicht,
dass er Bellinis finalen Schuss nicht hörte! Weiter im Süden würde das Unwetter
erst am Spätnachmittag losbrechen, Zeit genug für seinen Plan. Er war gespannt,
ob er allein oder in Begleitung zurückkommen würde. Das lag in Bellinis Hand,
im wahrsten Sinne des Wortes. Er musste über seinen eigenen Witz lachen.
    Ach ja, was für ein Panorama. Einfach traumhaft. Er stand auf,
verschwand querfeldein in den bergseitigen Weinbergen. Er hatte sich einen
perfekten Logenplatz ausgesucht.
    ***
    Adamello-/Presanellagebiet, 11.00 Uhr
    Der Adamello mit seinem riesigen Gletscher und das
kleinere Gebiet der Presanella gehören zum Trentino, der südlichen
Nachbarprovinz Südtirols. Diese wild-romantische Bergregion ist weniger
frequentiert als die bekannteren Gipfel im Norden. Es gibt zwar Berghütten und
markierte Pfade, aber die Entfernungen von Hütte zu Hütte sind groß, auf vielen
Wegen gibt es knifflige Stellen, teilweise mit Klettersteigen, die man
überwinden muss. Wer sich inmitten dieser schroffen Bergwelt befindet, kann
sich nicht vorstellen, dass der Gardasee mit seinem warmen, südländischen Klima
nur dreißig Kilometer entfernt ist.
    Sabine Mauracher war überzeugt, dass Gianna sich hier in einem der
Gletscher befand. Auf der langen Fahrt hatte sie unentwegt abgewogen, für
welchen Gletscher sie sich entscheiden sollte. Sie hatte nur einen Versuch.
Fand sie Gianna nicht, würde sie an diesem Tag keinen anderen mehr erreichen
können, die großen Höhenunterschiede und der bevorstehende Wettersturz machten
das unmöglich. Auf der Basis von Winnies Skizzen kamen drei Gletscher in Frage.
Sie hatten eines gemeinsam: Mauracher kannte sich auf keinem von ihnen aus.
    Naheliegend war das riesige Eisfeld des Adamello- und
Mandronegletschers, über das man einen der zwei höchsten Gipfel dieser
südlichsten Gebirgsgruppe der Ostalpen erreichen konnte: den Monte Adamello,
3.554 Meter hoch, nur zwei Meter niedriger als die Cima Presanella. Im
Bereich des Adamello gab es jede Menge Überreste von der Ortlerfront, teilweise
aufwendig restauriert und nun Bestandteil eines Friedensweges. Gerade deshalb
schied der Adamello ihrer Meinung nach aus. Wenn sich noch irgendwo Bergsteiger
tummelten, dann dort.
    Es gab auch weniger bekannte Gletscher, in denen sich nach Winnies
Überzeugung Reste von Kriegsstellungen befanden, allesamt in der
Presanellagruppe. Giannas eisiges Gefängnis könnte entweder in dem steilen
Hauptgletscher oder in einem der kleineren Eisschilde westlich davon sein.
Mauracher entschied sich für den Hauptgletscher. Gut erreichbar, wenig bekannt,
deshalb kaum begangen. Sie musste dringend Bellini Bescheid sagen, aber die
Gegend schien ein einziges Funkloch zu sein. Anhalten wollte sie auf keinen
Fall, die Zeit drängte. Sie würde es noch einmal versuchen, sobald sie
losgegangen war.
    Ihr kleiner Punto quälte sich das Val Vermiglio hinauf in Richtung
Tonalepass. Hinter dem »Chalet Al Foss« bog sie links ab, fuhr den Berg
hinunter und parkte kurz vor dem Abzweig zum Rifugio Stavel. Zwei Aufstiege
führten zu der Schutzhütte am Rande des Gletschers. Der eine war eine
asphaltierte, steile Holperstraße, im oberen Bereich mit vereisten
Altschneestellen übersät. Mit ihrem Punto ohnehin nicht zu schaffen. Der andere
war ein steiler, vom Schmelzwasser und den häufigen Niederschlägen der letzten
Zeit aufgeweichter Direktanstieg mit der Bezeichnung 233. Sie wählte die
kleine Straße. Auf diesem Untergrund konnte sie sich im Laufschritt bewegen.
    Nach zahlreichen Kehren zweigte der Weg, nunmehr als schmaler Pfad,
in südöstlicher Richtung ab. Er stieg zunächst sanft an, wies aber bald
gefährlich ausgesetzte Stellen auf. So hatte Mauracher sich das nicht
vorgestellt. Wenn ein Schneesturm den Weg zuwehte und die Sicht gleich Null
war, wurde aus der anspruchsvollen

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