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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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nicht tiefgekühlt – bis
einundzwanzig Uhr in Bozen sein. Als kleinen Hinweis darauf, dass dein Einsatz
wohlauf ist, habe ich diese Locken beigefügt. Eine recht banale, einfallslose
Methode, ich weiß. Ich habe bewusst auf drastischere Maßnahmen verzichtet, weil
ich deinen Einsatz in der letzten Zeit lieb gewonnen habe. Ich habe den
Eindruck, dass das auf Gegenseitigkeit beruht.
    Wenn du willst, geh zu deiner
Gerichtsmedizinerin. Lass sie prüfen, ob diese Haare von einem lebenden
Menschen stammen und wann sie abgeschnitten wurden. Das könnt ihr bestimmt, mit
all dem technischen Krimskrams, den Ihr habt.
    Zur Sache:
    Du benötigst heute mehrere Joker: den
korpulenten Ispettore, den eleganten Vice-Questore und den sensationslüsternen
Reporter. Marzoli braucht eine Digitalkamera, Baroncini einen Camcorder. Sieh
zu, dass ihr das rechtzeitig organisiert. Ihr fahrt, entsprechend ausgerüstet,
zusammen zum Zielpunkt. Ich erkläre es dir: Ihr fahrt nach Lana, von dort aus
geht es, wie du als alter Wandersmann natürlich weißt, ins Ultental.
    Ich möchte niemanden außer euch in einem Wagen sehen. Bitte
unterlasst jeglichen Versuch, Straßen abzuriegeln oder das Ultental zu
überwachen. Wir kennen uns so lange, Vincenzo, haben durch unser Spiel
gemeinsam unser Bewusstsein auf eine höhere Ebene transformiert, dass ich nicht
mehr sagen muss. Unsere Gedanken sind eins.
    Ihr folgt bitte der Straße, die ins Tal
führt. Sie schlängelt sich anfangs in einigen Kehren bergan durch die
herrlichen Weinberge. In der, lass mich nicht lügen, fünften Kehre geht rechts
der Waalweg ab. Wunderschön, herrliche Aussicht ins Tal nach Meran, dazu mitten
in den Weinbergen, ein Traum. Der passende Rahmen für deinen ultimativen
Spielzug. Ihr parkt, geht den Weg entlang nach Norden. Nach kurzer Zeit kommt
ihr unter der Vigiljochbahn hindurch. Ihr geht weiter bis zur nächsten Bank.
Bei dem Sturm wird außer euch niemand dort sein.
    Deadline ist dreizehn Uhr, du solltest
also gleich loslegen. Du setzt dich bequem auf die Bank, der Dicke und der
Elegante postieren sich mit ihren Kameras vor dir, im Hintergrund wunderbar die
Weinberge und die Gipfel.
    Du ziehst deine Waffe – Verzeihung, das
hatte ich eingangs vergessen zu erwähnen. Liegt sicherlich an meiner Aufregung.
Du musst sie mitnehmen, bitte geladen. Du richtest sie auf dein Ohr – und
drückst ab, Punkt dreizehn Uhr. Keine Sekunde später! Deine Kollegen
werden das medial dokumentieren. Du kennst dich aus, Vincenzo, ein Schuss in
die Schläfe ist unsicher, das Ohr ist besser. Abends wird das auf sämtlichen
Nachrichtenkanälen gebracht, morgen steht es in allen Zeitungen.
    Die Rückkehr deines Einsatzes vollzieht sich
in zwei Schritten: Wenn du deinen Zug gemacht hast, hole ich ihn ab und halte
ihn bis zum nächsten Tag warm. Sehe ich heute die Berichte im Fernsehen, morgen
in der Zeitung, ist dein Einsatz frei.
    Heute kannst du in die Geschichtsbücher
eingehen, Vincenzo! Polizist opfert sich
für seine Freundin, Wahnsinn, was für eine
Schlagzeile! Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich dich darum beneide.
Ich könnte das nicht, ich wäre zu feige. Du hingegen hast bewiesen, dass du
Grenzen überschreiten kannst. Heute musst du es ein allerletztes Mal tun. Dann
bist du frei, für alle Zeit!
    Ich hätte dir das gerne erspart, glaub mir
das bitte. Aber deine Bereitschaft, für deinen Einsatz bis zum Äußersten zu
gehen, gehört zu den elementaren Zielen unseres Spiels. Ein höheres Schicksal,
gegen das wir beide machtlos sind.
    Vincenzo, mein Held, ich muss Schluss
machen, ein anstrengender Tag wartet auf uns alle. Trink in Ruhe einen Kaffee,
ruf deine Joker an und bereite alles vor. Seid pünktlich, die Zeit ist knapp.
Das heißt, nicht, wenn du versagst. Dann hast du ab heute viel Zeit. Zeit für
ein Leben ohne deinen Einsatz!
    Alles Gute in deiner neuen Welt, Vincenzo!
    Dein Spielführer, Verehrer, Bewunderer bis
in alle Ewigkeit
    Vincenzo starrte aus leeren Augen auf das Blatt Papier. Er hatte
sich in seiner Phantasie vieles vorgestellt, was Oberrautner von ihm verlangen
würde. Einen Banküberfall, einen Brandanschlag auf die Trattoria, ein
willkürliches Opfer auf der Straße krankenhausreif prügeln. Doch das ging
weiter als alles, was er sich in seinen schlimmsten Horrorszenarien ausgemalt
hatte. Er hätte nicht sagen können, was er in diesem Augenblick fühlte. Seine
Emotionen waren nicht mit Worten zu beschreiben.
    Eine halbe Stunde lang saß er mit

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