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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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Kühlschrank.
Als das Telefon um neun Uhr klingelte, stand vor ihm auf dem kleinen
Küchentisch bereits eine Batterie von fünf leeren Bierflaschen. Mindestens zehn
Mal hatte er versucht, Gianna zu erreichen. Erfolglos. Er starrte den Hörer an.
Das Geräusch erreichte ihn aus einer merkwürdigen dimensionslosen Ferne. Erst
beim siebten Klingeln registrierte er, dass es sein Telefon war. »Ja?«
    »Ich bin es, Guiseppe Marzoli. Ich wollte mich erkundigen, wie es
Ihnen geht. Ist Gianna inzwischen aufgetaucht?«
    Es war rührend, wie besorgt und mitfühlend sein Kollege war. Oder
war es nur das schlechte Gewissen, weil er ihm heute bei Baroncini in den
Rücken gefallen war? Obwohl er Marzoli eigentlich dankbar sein musste, beendete
er unwirsch das Gespräch.
    Schon nach wenigen Sekunden verachtete er sich für diese
unbeherrschte Reaktion. Er ging zum Kühlschrank, aber da war kein Bier mehr. Er
entkorkte einen Lagrein. Dazu gehörte ein anständiger Grappa.

9
    Bozen, Donnerstag, 7. Oktober
    Die Dunkelheit draußen kam ihm vor wie ein Vorbote der
Apokalypse. Vincenzo konnte sich nicht erinnern, jemals eine derartig kompakte
schwarze Wolkenwand gesehen zu haben. Im Laufe der Nacht hatte es angefangen,
wie aus Eimern zu schütten. Nachdem er noch die ganze Flasche Wein geleert
hatte, war er ins Bett gegangen, in der Hoffnung, dank der alkoholischen
Betäubung ein wenig Schlaf zu finden. Doch die Methode erwies sich als
wirkungslos. Er lag die ganze Nacht wach und lauschte dem Geräusch des Regens.
Wirre Gedanken rasten ihm durch den Kopf, die sich alle um Gianna drehten.
    Wegen des Leichenfundes war er entgegen seiner üblichen
Gepflogenheit bereits um sieben Uhr im Büro, noch benebelt von seinem
abendlichen Trinkmarathon und der durchwachten Nacht. Bei einem möglichen
Mordfall waren die ersten Tage die wichtigsten. Vincenzo konnte zwar nichts
essen, aber er brauchte Kaffee und hatte sich vorsorglich eine ganze
Thermoskanne mitgenommen.
    Draußen prasselte der Regen auf die Largo Giovanni Palatucci. Was
für Wassermassen! Obwohl es stockfinster war, schaltete er das Licht zunächst
nicht ein. Er starrte auf die gegenüberliegende Wand, lauschte dem
gleichförmigen, monotonen Geräusch des Regens, nahm gelegentlich einen Schluck
Kaffee. Zwanzig Minuten saß er einfach nur so da, umgetrieben von seinen
wachsenden Sorgen.
    Schließlich machte er Licht, holte die noch dünne Akte mit der
Beschriftung Talferleiche hervor und warf sie auf den
Schreibtisch. Dabei fiel ihm der weiße Briefumschlag auf, der dort lag. Wo kam
denn der her? Er leerte seine zweite Tasse Kaffee in einem Zug, endlich fiel es
ihm ein: Das Kuvert hatte ihm Paolo Verdi gestern gezeigt. Er nahm den Brief in
die Hand, wendete ihn, kein Absender. Er öffnete ihn. Ein handschriftliches
Schreiben.
    Verehrter Commissario Bellini,
    schon lange verfolge ich Ihren Werdegang. Je
länger ich Sie beobachte, desto größer wird meine Bewunderung für Sie und Ihre
außergewöhnlichen Talente. Sie besitzen kriminalistisches Gespür, einen
ausgeprägten Instinkt, Sie sind mutig und geradlinig. Eigenschaften, die Sie
von der Mehrheit Ihrer Kollegen unterscheiden. Sie haben Menschenkenntnis.
Obwohl – in diesem Punkt bin ich noch ein wenig unschlüssig in meiner
Beurteilung. Wir werden sehen …
    Ich habe beschlossen, meiner Bewunderung für
Sie Ausdruck zu verleihen, indem ich Sie zu einem Spiel einlade, bei dem Sie
all Ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen können, ja, müssen! Ich bin davon
überzeugt, es wird Ihnen viel Spaß machen, denn unser Spiel ist sehr
anspruchsvoll. Ist es nicht so, dass Sie es lieben, bis an Ihre Grenzen zu
gehen? Wenn Sie einmal den dritten Schwierigkeitsgrad geklettert sind, reicht
Ihnen das dann auch bei der nächsten Tour, oder wollen Sie nicht vielmehr
wissen, ob Sie den vierten schaffen oder gar den fünften?
    Das, lieber Commissario, ist einer der
Gründe, warum wir uns gut verstehen werden. Uns beiden ist gemeinsam, dass wir
immerzu die eigenen Grenzen ausloten wollen. Es hat mich betrübt, all die
Wochen und Monate mit ansehen zu müssen, wie Sie in der Questura dahinsiechten.
Keiner der Fälle wurde Ihren Fähigkeiten gerecht. Eine unbedeutende
Messerstecherei, ein harmloser Raubüberfall, ein entlaufener Ehemann und jetzt
ein Feuerteufel. Was rede ich, Feuerteufel! Aus Ihrer Sicht doch nur ein
nichtiges Teufelchen.
    Wie miserabel musst du dich in der ganzen
Zeit gefühlt haben, lieber Vincenzo? Oh, bitte entschuldige

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