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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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eingeladen.
Sie war sicher, dass er dankend ablehnen würde. Doch seit einer Stunde saß er
ihr gegenüber, plauderte mit ihr und lobte ihren Kaffee. Er war groß, über
einen Meter neunzig, hatte volles dunkles Haar, blaue Augen und ein Lächeln,
das sie dahinschmelzen ließ.
    Sie war bestimmt zwanzig Jahre älter als er. Seit dem Tod ihres
Mannes hatte es keinen Mann mehr in ihrem Leben gegeben. Sicherlich, für ihr
Alter – sie war fünfundsechzig – sah sie noch gut aus, schlank, dichtes braunes
Haar, ein üppiger, straffer Busen. Auf den Höfen in der Nachbarschaft gab es
genügend Männer, die jede erdenkliche Gelegenheit nutzten, ihr Avancen zu
machen. Die Anziehung beruhte indes selten auf Gegenseitigkeit.
    Dieser Typ allerdings hatte etwas an sich, was sie auf eine ihr
bislang unbekannte Weise erregte. Vielleicht lag es an seiner tiefen,
männlichen Stimme, die zugleich auffallend sanft war. Dass er durchtrainiert
war, sah man auf den ersten Blick. Doch ihr Interesse an Männern wurde nie von
Äußerlichkeiten geweckt. Insofern spielte es keine Rolle, dass er aussah wie
einem Hochglanzmagazin entstiegen. Seine Wirkung hatte mit seiner Art zu tun.
Sie musste unbedingt mehr über ihn erfahren.
    »Vielen Dank, Herr Stadler. Das ist ein Rezept eines Gastes aus
Freiburg. Wichtig sind frisch gemahlene Bohnen. Sie streuen ein wenig
zerbröselte Zartbitterschokolade in Ihre Tasse und übergießen sie mit dem
heißen Kaffee. Umrühren, bis die Schokolade geschmolzen ist, dann ein wenig
Sahne und eine kleine Prise Muskat oben drauf. Das ist alles.«
    Er nahm einen weiteren Schluck, beließ ihn lange im Mund, schien die
Aromen zu bestimmen wie bei einem edlen Wein. »Sensationell. Das ist eindeutig
der beste Kaffee, den ich je getrunken habe. Das Rezept merke ich mir. Wissen
Sie was? Das wird eine von den kleinen Geschichten, eine dieser Besonderheiten,
die ich für mein Buch brauche.«
    Maria Hofer kam sich vor wie in einem Traum. Nicht genug, dass sie
mit dem faszinierendsten Mann, der ihr je begegnet war, an einem Tisch saß.
Jetzt deutete er tatsächlich an, dass er ihren Hof in seinem Buch erwähnen
würde. Genau das hatte sie insgeheim gehofft, als er ihr von seinen Plänen
erzählte. Niemals hätte sie sich getraut, ihn von sich aus darauf anzusprechen.
»Sie machen mich ganz verlegen, Herr Stadler. Es ist doch bloß ein Kaffee.
Welcher Leser interessiert sich schon für einen einsamen Hof im Ultental?«
    Empört schaute er sie an. »Frau Hofer, ich bitte Sie! Stellen Sie
Ihr Licht nicht so unter den Scheffel! Ihr Hof ist ein Paradies in einer
begnadeten Lage. Meine Leser sind keine Actionfreaks. Sie sind Naturliebhaber,
Sonnenanbeter, Kulturfreunde wie Sie und ich. Wenn ich, unterlegt mit
entsprechendem Bildmaterial, erzähle, was für eine gastfreundliche, charmante
Vermieterin ihren Gästen diesen ganz besonderen Kaffee kredenzt, werden die
Leute nicht nur mein Buch in Scharen kaufen, sondern sofort ihren nächsten
Urlaub bei Ihnen buchen. Apropos Bilder. Ich würde gerne direkt ein paar Fotos
schießen, von Ihrem Hof und von Ihnen. Wäre Ihnen das recht?«
    Eine prickelnde Atmosphäre, ein Mann wie aus einem kitschigen Film,
Worte, die runtergingen wie Öl. Was immer Maria Hofer in ihrem Leben erlebt
haben mochte, das war einer ihrer schönsten Momente.
    ***
    Gerichtsmedizin
    Mittags hatte Dottoressa Claudia Paci angerufen, weil es
ungeachtet der ausstehenden Obduktion des Toten aus der Talfer einiges zu
berichten gab.
    Vincenzo musste an Maurachers coolen Auftritt beim Anblick der
Flussleiche denken. Anstatt den Blick abzuwenden, was jeder normale Neuling
getan hätte, wollte sie sich den Toten gleich genauer ansehen, um das Ding an
seinem Fuß zu identifizieren. Er fragte sich, ob sie bei einem Besuch in der
Gerichtsmedizin auch so ungerührt bleiben würde.
    Auf dem Weg zu Paci holte er Marzoli ab. Er nutzte die Zeit, um sich
bei seinem Kollegen für sein abweisendes Verhalten am Abend zuvor zu
entschuldigen. Als Geste der Wiedergutmachung schenkte er ihm gleich zwei Tüten
seiner Cantuccini. Das Glänzen in Marzolis Augen war für Vincenzo das erste Mal
seit Tagen, dass er einen Hauch von Freude empfand.
    Kaum standen sie Claudia Paci gegenüber, öffnete Marzoli die erste
Tüte. Er hielt sie Vincenzo, Sabine Mauracher und der Ärztin entgegen, deren
rote Lockenpracht ihr Gesicht umrahmte wie ein Bühnenvorhang, aber alle lehnten
ab. Guiseppe Marzoli war kein Mensch, der sich verstellen oder seine

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