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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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Gefühle
unterdrücken konnte. Die Erleichterung darüber, dass ihm niemand seine
Cantuccini wegessen wollte, war in seinem Gesicht deutlich abzulesen.
    »Wir wissen noch nicht, um wen es sich bei dem Toten handelt.
Jedenfalls nicht um Michael Oberrautner. Unsere Leiche ist fast unbehaart,
ziemlich dünn und unsportlich, genau das Gegenteil von dem entlaufenen Ehemann.
Der Tote war nackt, trug nichts bei sich. Aber es gibt eine Reihe
Auffälligkeiten. Fangen wir mit der Todesursache an.« Paci zog das weiße Laken
zurück, mit der die Leiche bedeckt war.
    Der Zustand des Opfers war fürchterlich, das Gesicht nur noch eine
breiige, blutige Masse. Marzoli stand mit offenem Mund da, brachte kein Wort
heraus. Seine Hände umfassten krampfhaft die Cantuccinitüten.
    Für Paci hingegen war der Anblick offensichtlich nichts Besonderes,
sie plauderte munter weiter: »Auch ohne Obduktion sage ich, der Mann ist nicht
ertrunken. Schauen Sie sich diese unnatürliche Kopfhaltung an!« Sie bewegte den
Kopf des Toten mit beiden Händen hin und her. »Sehen Sie? Das geht viel zu
leicht. Das ist mir schon an der Talfer aufgefallen. Da sind mit Sicherheit
alle Bänder gerissen.«
    Vincenzo brauchte all seine Beherrschung, um sich nicht
augenblicklich zu übergeben. »Was soll das heißen, Dottoressa?«
    Triumphierend blickte sie den Commissario durch ihre Lockenpracht
hindurch an. »Genickbruch, würde ich sagen. Wie aus dem medizinischen Lehrbuch.
Da waren eine Menge Kraft und Gewalt im Spiel. So locker, wie der Kopf sitzt,
denke ich, dass da alles zerstört ist, was man zerstören kann. Ich glaube
nicht, dass so eine Verletzung von einem Sturz in die Talfer stammen kann.«
    Vorsichtig legte die Gerichtsmedizinerin den Kopf des Toten ab,
sodass sein Gesicht frei lag. »Diese massiven Gesichtsverletzungen erst recht
nicht. Ich vermute, der Mörder hat seinem Opfer, nachdem er ihm das Genick
gebrochen hat, mit einem stumpfen Gegenstand das Gesicht zertrümmert.
Vielleicht mit einem großen Stein, davon gibt es an der Talfer wahrlich genug.«
    Vincenzo spürte ein flaues Gefühl in der Magengegend, das weder mit
dem Alkohol noch mit seiner Appetitlosigkeit zu tun hatte. Außerdem wurden in
ihm Erinnerungen wach. Erinnerungen, die für immer in den Tiefen seines
Unterbewusstseins vergraben sein sollten. »Wieder so ein extrem gewalttätiger
Mord, mitten in Südtirol. Wenn das Zufall ist, dann dürfte nach den Gesetzen
der Wahrscheinlichkeit in den nächsten fünfzig Jahren kein Verbrechen mehr
passieren. Wie erklären Sie sich den Genickbruch? Ich kann mir nicht
vorstellen, dass das mit bloßen Händen geht.«
    Paci, die permanent in Bewegung war, so als könnte sie nicht
stillhalten, versuchte, mit der linken Hand ein Haarbüschel hinter dem Ohr
festzuklemmen. Ein hoffnungsloses Unterfangen. »Das stimmt. Es ist eine enorme
Kraft nötig, um der Halswirbelsäule derartig massive Verletzungen zuzufügen.
Genickbrüche sind ohnehin selten, entstehen vornehmlich bei schweren Stürzen im
Gebirge oder bei Autounfällen. Ich kann, abgesehen von den Gesichtsverletzungen,
die nicht zu dem Genickbruch geführt haben, keine weiteren Gewalteinwirkungen
am Kopf feststellen. Das heißt, dass niemand mit einer Stange oder dergleichen
auf ihn eingeschlagen hat. Das kommt mir vor wie in einem Kung-Fu-Film, so als
hätte jemand zugepackt und den Kopf mit voller Wucht regelrecht herumgerissen,
wahrscheinlich zwei- oder dreimal. Anders kann ich mir diese Verletzungen nicht
erklären, so abwegig das auch klingt.«
    Wenn es sich so zugetragen hatte, wie es Paci beschrieb, hatten sie
es mit einem Täter zu tun, der über enorme Kräfte verfügte. Erschreckend.
»Haben Sie weitere unappetitliche Details, Dottoressa?«
    Paci nickte. »Auffällig ist der Zustand des Leichnams. Die
Totenstarre hat sich bereits vollständig gelöst. Der Körper ist aufgedunsen,
die Haut zeigt grünliche Verfärbungen. Wenn ich Witterung und Wassertemperatur
berücksichtige, ist klar, dass er nicht erst seit gestern in der Talfer lag.
Vorbehaltlich der Obduktion und des Zustandes der inneren Organe würde ich
sagen: mindestens eine Woche.«
    Vincenzo löste sich von dem abstoßenden Anblick und sah Marzoli
fragend an. »Sie müssen sich das mal vorstellen. Sie brechen jemandem mit roher
Gewalt das Genick. Was meinen Sie, wie das knackt? Dann ziehen Sie Ihr Opfer in
aller Seelenruhe aus, zerschmettern sein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit, um es
schließlich an einer Stelle in die

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