Eiszeit in Bozen
diese
Vertraulichkeit, sie ist Ausdruck meiner Bewunderung und der Freude darüber, in
dir einen Seelenverwandten gefunden zu haben. Ich bin gespannt, wie dir unser
Spiel gefällt. Das Einzige, was vielleicht nicht in deinem Sinne sein wird, ist
die Tatsache, dass ich die Regeln festlege. Aber einer muss es schließlich tun,
sonst entsteht ein heilloses Durcheinander. Ich werde mich bald wieder bei dir
melden, mein teurer Freund, und dir ausführlich erklären, worum es geht.
Eins darf ich dir schon an dieser Stelle
verraten: Das faszinierende Spiel erfordert einen Einsatz von beiden Seiten,
sonst macht es keinen Spaß. Nun habe ich dieses Spiel, das dir viele
Glücksmomente bescheren wird, erfunden. Ich werte das als meinen Einsatz. Es
geht also nur noch um dich. Mach dir darüber keine Gedanken, mein Lieber, du
hast deinen Einsatz nämlich längst geleistet. Das wusstest du nicht? Siehst du,
ich habe ja gesagt, dass es spannend wird.
Mehr sage ich an dieser Stelle nicht. Wie
heißt es so treffend? Vorfreude ist die schönste Freude. Die will ich dir nicht
verderben. Sei bereit, mein Freund, bald ist es so weit. Belaste dich bis dahin
nicht mit Grübeleien, sie würden zu nichts führen.
Aber achte auf meine Zeichen!
Jemand, der es gut mit dir meint.
P.S. :
Ich habe eine große Bitte an dich, Vincenzo: Erzähl vorläufig niemandem von
unserem Spiel! Weißt du, ein bisschen Geheimniskrämerei gehört zu den Regeln.
Dein erster Zug besteht darin zu schweigen. Ich hoffe, du kannst das. Ansonsten
käme eine andere Regel zum Tragen. Ich befürchte, die würde dir nicht zum
Vorteil gereichen und dich vorschnell zum Verlierer machen. Das wäre schade, weil
wir viel Spaß haben können. Bist du neugierig, mein Freund?
Vincenzo starrte auf das Blatt Papier in seiner Hand. Was sollte
das sein? Erlaubte sich da jemand einen dummen Scherz mit ihm? Was für ein
Spiel? Er sollte einen Einsatz geleistet haben? Es musste sich um einen
Spaßvogel mit einem besonders schrägen Humor handeln.
Nachdenklich rieb er sich das Kinn. Erst jetzt bemerkte er die
dichten Bartstoppeln. Anscheinend hatte er seit Tagen nicht mehr daran gedacht,
sich zu rasieren.
Eine merkwürdige Unruhe erfasste ihn. Gianna verschwunden, dann ein
Toter, jetzt dieser abstruse Brief. War es möglich, dass zwischen diesen
Ereignissen ein Zusammenhang bestand? Seine Verwirrung, die Stille in seinem
Büro, das monotone Trommeln des Regens draußen versetzten Vincenzo in einen
Zustand surrealen Empfindens. Er legte den Brief vor sich auf den Schreibtisch,
schloss die Augen, legte die Hände vors Gesicht und atmete tief durch.
Konzentrier Dich! Du hast einen möglichen
Mordfall aufzuklären. Für Giannas Verschwinden gibt es bestimmt eine ganz
einfache Erklärung. Der Brief muss Zufall sein, ein verrückter Scherz, nichts
weiter. Es gibt keinen Zusammenhang. Natürlich nicht. Deine lebhafte Phantasie
spielt dir einen Streich.
Vincenzo stand auf, nahm den Brief und ging ins Erdgeschoss zu Paolo
Verdi. »Paolo, du hast mir gestern diesen Brief auf meinen Schreibtisch gelegt.
Erzähl mir bitte ganz genau, was passiert ist.«
Verdi blickte den Commissario über den Rand seiner Nickelbrille an.
»Wieso? Ist es was Unangenehmes?«
»Weiß ich noch nicht. Ich halte es eher für einen Scherz. Trotzdem,
ich will das wissen. Erzähl!«
Verdi dachte einen Augenblick nach. »Wie ich dir schon gesagt habe,
gestern kam gegen elf Uhr ein Junge zu mir, vielleicht dreizehn oder vierzehn.
Ich kannte ihn nicht. Er hat nur gesagt, dass er einen Umschlag für den
verehrten Commissario Bellini abgeben soll. Ehe ich etwas erwidern konnte, war
er schon wieder weg. Sonst hätte ich natürlich gefragt, von wem der Brief
kommt. Mehr war nicht. Was steht denn drin?«
»Ach, ist nicht so wichtig. Hat er wirklich verehrter
Commissario gesagt?«
»Ja, ich fand das für so einen jungen Burschen auch ziemlich
hochgestochen. Hat das was zu bedeuten?«
Vincenzo schüttelte den Kopf. »Glaube ich nicht. Ich vergesse das
ganz einfach fürs Erste, ich habe jetzt einfach keine Zeit, mich auch noch
darum zu kümmern. Danke, Paolo. Grüß deine Marcella von mir!«
***
St. Pankraz
»Sie machen einen ausgezeichneten Kaffee, Frau Hofer.
Würden Sie mir Ihr Geheimnis verraten?«
Tagelang hatte Maria Hofer ihren Gast beobachtet, der zunehmend ihre
Neugier entfachte. Als er am Vorabend zurückgekommen war, wieder im Dunkeln,
hatte sie sich ein Herz gefasst, ihn angesprochen und zum Frühstück
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