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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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selbst getötet hatte, war ihm schlecht geworden.
    Nun erwiderte er: »Darüber mache ich mir vorher keine Gedanken. Es
kann alles ein. Mord, ein Unfall, Herzversagen. Wobei Mord in Südtirol ja nun
wahrlich nicht zum Alltag gehört.«
    »Aber letztes Jahr haben Sie doch höchstpersönlich einen
Serienmörder gestellt. Die Zeitungen waren voll davon. Warum sollte es jetzt
kein Mord sein?«
    »Das war in der Tat ein spektakulärer Fall. Ein Irrer, allerdings
hochintelligent und ziemlich charismatisch. Aber eine Ausnahme. So etwas wird
es hier wohl in hundert Jahren nicht mehr geben. Stellen Sie sich darauf ein,
dass Sie es eher mit Schlägereien und Diebstählen zu tun bekommen. Wenn Sie
sich für Schwerverbrecher interessieren, sollten Sie sich nach Ihrer Ausbildung
lieber in eine Großstadt bewerben. Was haben Sie denn für berufliche Ziele?«
    Mauracher musste nicht lange nachdenken. »Auf keinen Fall will ich
so einen langweiligen Bürojob. Ich will ermitteln, Verbrecher zur Strecke
bringen. Geld ist mir nicht so wichtig. Außerdem möchte ich in Südtirol
bleiben, ich liebe diese Gegend. Und ich bin mir sicher, dass mir auch hier
richtig böse Jungs begegnen werden.«
    Vincenzo konnte sich nicht vorstellen, dass so ein zartes Geschöpf
in der Lage sein könnte, einen Schwerverbrecher zu stellen. Er hatte zudem
keine Vorstellung, was einen jungen Menschen mit solchen Ambitionen in Südtirol
hielt. Vielleicht die Familie? Die Berge waren es wohl nicht, denn dafür war
sie seiner Meinung nach nicht geschaffen. Sie hatte eine viel zu schwache
Konstitution für harte Bergtouren, wie hätte das zierliche Persönchen denn
einen schweren Rucksack tragen sollen? Er kam nicht mehr dazu nachzufragen,
denn sie hatten ihr Ziel erreicht.
    Sie mussten den Wagen ein Stück entfernt abstellen und den Rest des
Weges zu Fuß gehen. Das Gelände war zu unwegsam für ein Auto.
    Der Commissario sah eine Frau auf einem Stein sitzen, offenbar
Signora Bartoli, die den Toten gefunden und die Polizei alarmiert hatte. Er
blinzelte gegen die aufsteigende Sonne. Tatsächlich, da lag etwas Größeres am
Uferrand der Talfer. Gefolgt von Sabine Mauracher ging Vincenzo auf die Joggerin
zu.
    Für einen Augenblick überkam Vincenzo ein mulmiges Gefühl. Gianna
war verschwunden und zur selben Zeit wurde eine Leiche gefunden – vielleicht
war das kein Zufall? Wäre es möglich … Nein, wie hätte Gianna denn aus einem
Zug, der nach Mailand fuhr, in die Talfer gekommen sein sollen? Er schob den
abstrusen Gedanken rasch beiseite und widmete seine Aufmerksamkeit der Frau und
ihrem Fund.
    Er konnte die unbekleidete Leiche sehen, die auf dem Bauch liegend
rhythmisch in den sanften Wellen der Talfer schaukelte. Der Kopf und Teile des
Rückens wurden von dem Buschwerk bedeckt, in dem sich der leblose Körper
verfangen hatte. Einzig die unbehaarten Beine waren vollständig zu sehen. Ob es
sich bei der Leiche um einen Mann oder eine Frau handelte, konnte er nicht erkennen.
Soweit es sich auf den ersten Blick sagen ließ, wies der oder die Tote im
Rückenbereich keine Verletzungen auf.
    Vincenzo betrachtete die nähere Umgebung der Leiche, sah aber
keinerlei sichtbare Spuren, keine Fußabdrücke, keine Kleidungsstücke, keine Werkzeuge
oder Waffen. Er wendete sich der Joggerin zu, die kerzengerade auf ihrem Stein
saß und ihn abwartend ansah.
    In wenigen Sätzen fasste Francesca Bartoli ruhig und nüchtern
zusammen, was sich ereignet hatte. Sie hatte nichts angefasst, war sich darüber
im Klaren, dass sie damit wichtige Spuren zerstören könnte. Nachdem sie ihren
vermeintlichen Wendepunkt als Leiche identifizieren musste, hatte sie sofort
die Notrufnummer gewählt. Vincenzo war erstaunt, wie gelassen die Frau in
dieser Situation blieb.
    Plötzlich zupfte Sabine Mauracher Vincenzo am Ärmel. »Commissario,
sehen Sie nur, am Fuß des Toten. Da ist doch was!«
    Vincenzo sah genau hin. Mauracher hatte recht. Da befand sich
irgendetwas. Aber es ließ sich nicht erkennen, worum es sich handelte. Die Wellenbewegungen
des Wassers und das Glitzern der Sonne ließen das nicht zu. Mauracher schickte
sich an, sich zu dem Toten hinunterzubeugen, doch Vincenzo hielt sie zurück.
»Nein, Sabine, lassen Sie das. Das ist gleich Aufgabe der Spurensicherung. Das
können die besser als wir. Heute Nachmittag wissen wir, was es ist.«
    In diesem Moment ertönten hinter ihnen Stimmen, die Kollegen trafen
ein. Reiterer begrüßte Vincenzo gewohnt freundlich. »Mensch, Bellini,

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