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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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untergebracht? Warum
nicht in der neuen Psychiatrie?«
    Albertazzi lachte. »Gruselkabinett! So haben wir diese Räume vor dem
Umzug auch genannt. Demnächst wird hier tatsächlich dichtgemacht. Aber solange
es diesen Bau noch gibt, nutze ich ihn, um besonders schwierige, unberechenbare
Fälle unterzubringen. Ein derart gefährliches Subjekt sollte man isolieren.
Deshalb habe ich mich persönlich dafür eingesetzt, dass wir die alte
Psychiatrie möglichst lange behalten können.«
    Sie betraten den Hochsicherheitstrakt. Vincenzo hätte nicht sagen
können, wie viele verlassene Gänge bereits hinter ihnen lagen. Sein Kollege
Marzoli fühlte sich sichtlich unbehaglich, häufig blickte er sich nach allen
Seiten um, sprach kein Wort. Vincenzo konnte ihn verstehen, nahm die abweisende
Atmosphäre aber selbst nicht so wahr. In ihm tobten andere, beängstigendere
Gefühle.
    »Wir sind da, meine Herren. Sie müssen nicht glauben, dass er eine
Zwangsjacke trägt. In seiner Zelle kann er sich frei bewegen. Aber halten Sie
Abstand. Ich bleibe im Hintergrund.«
    Vincenzo bedeutete Marzoli, die Zelle mit gezogener Waffe von außen
zu sichern. Albertazzi tippte den Sicherheitscode ein und öffnete die Tür.
Unvermittelt stand sie Vincenzo wieder klar vor Augen, die Erinnerung an seinen
ersten Mordfall, an die zahlreichen wehrlosen Opfer und ihren psychopathischen
Mörder. Ihn fröstelte innerlich.
    Er saß zusammengekauert auf seinem Bett, den Kopf auf der Brust.
Ganz offensichtlich ein gebrochener Mann. Beinahe hätte Vincenzo so etwas wie
Mitleid mit ihm empfunden, aber er sah immer wieder die leeren Augen der toten
Opfer vor sich.
    Langsam blickte der Mann auf. »Eusebio, wo warst du so lange? Ich
habe …« Er verstummte, als er Vincenzo erblickte. Seine Augen wurden schmal.
»Bellini? Was hat das zu bedeuten?«
    Albertazzi trat vor, hob beschwichtigend die Hände. »Beruhigen Sie
sich. Es geht lediglich um ein paar Fragen. Das hat nichts mit Ihnen zu tun.«
Er wandte sich Vincenzo flüsternd zu: »Sie können mit ihm sprechen,
Commissario. Er bekommt starke Medikamente, aber er versteht Sie.«
    Daran hatte Vincenzo keinen Zweifel. Er ging einen Schritt auf den
Serienmörder zu, sah ihm direkt in die Augen. »Signore, man hat in Bozen eine
nackte männliche Leiche gefunden, die einen gewaltsamen Genickbruch erlitten
hat. Außerdem wurde eine Frau entführt. Beides hängt zusammen, beides erinnert
an Ihre Taten. Wir finden das merkwürdig. Haben Sie uns dazu irgendetwas zu
sagen?«
    Er sah Vincenzo eine Weile aus seiner gebeugten Haltung heraus an,
dann ließ er den Kopf wieder sinken. »Bellini, ich vegetiere seit mehr als
einem Jahr hier in dieser Zelle vor mich hin. Mein einziger menschlicher
Kontakt ist mein Therapeut. Was, in Herrgottsnamen, sollte ich damit zu tun
haben?«
    Vincenzo wusste genau, wie dieses Gespräch verlaufen würde. Es ging
ihm auch nicht darum, von dem Mann konkrete Aussagen zu erhalten, er wollte ihm
vor allem in die Augen sehen, in ihn hineinschauen. Es gab keinerlei logische
Erklärung für den Verdacht, ausgerechnet er könnte Gianna entführt haben. Aber
wenn er doch irgendwie hinter der Sache steckte, konnte man das dann aus seinem
Verhalten schließen?
    Es erging Vincenzo wie damals – er schaffte es nicht, die Fassade
des Mannes zu durchbrechen.
    Das »Monster« hing auf seinem Bett, glotzte Vincenzo verächtlich an
und sagte wegwerfend: »Sie können mich kreuzweise, Bellini. Machen Sie, dass
Sie verschwinden. Wenn ich Ihre widerliche Visage betrachte, frage ich mich, ob
es vielleicht gar nicht so schlecht ist, das Leben in einer Zelle zu
verbringen. Dann bleibt mir ein solcher Anblick wenigstens erspart. Zabatino
reicht mir völlig, mehr Menschen will ich gar nicht sehen. Hauptsache, ich
werde von Abschaum wie Ihnen verschont.«
    »Hören Sie, Signore …«
    »Raus!«, schrie er aufgebracht. Seine Stimme bebte, sein Oberkörper
hatte sich aufgerichtet, er spuckte vor Wut und begann jetzt, wüste
Beschimpfungen zu brüllen.
    Vincenzo zuckte die Achseln und nickte seinen beiden Begleitern zu.
Sie verließen die Zelle, und Albertazzi schloss hinter ihnen ab.
    »Seltsam«, bemerkte Vincenzo auf dem Rückweg, »ich habe ihn als
kaltblütig und selbstbeherrscht in Erinnerung. Was würden Sie als Fachmann dazu
sagen, Dottore: Verstellt er sich?«
    »Diese Frage sollten Sie lieber Zabatino stellen. Der kennt seinen
Patienten am besten. Aber eines ist klar: Er befindet sich seit mehr als einem
Jahr

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