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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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zugleich bedrohliches, lang anhaltendes Donnergrollen auf.
Wenig später ein erstes Wetterleuchten. Der Wind frischte auf, raschelte leise
in den Bäumen vor Vincenzos Wohnung. Er konnte ihn durch das gekippte Fenster
in seinem Gesicht spüren. Wenn der Wind ihn doch forttragen könnte, einfach nur
weg von hier, am besten dorthin, wo sich Gianna befand. Unaufhörlich zuckten in
weiter Ferne Blitze auf, gefolgt von leisem Donner. Der Wind trug einen
frischen, würzigen Geruch durch das Fenster. Regen. Gleich würde es losgehen.
Tagelanger Regen. Tristesse.
    Mit der zehnten Flasche stellte sich allmählich die erhoffte Wirkung
ein. Nie zuvor hatte er solche Mengen Bier in sich hineingeschüttet. Der
Alkohol, das gleichmäßige Rauschen des Regens, das gedämpfte, bedrohliche
Donnergrollen, all das schien ihn in eine andere Welt hineinzuziehen. Er hielt
die Augen geschlossen, lauschte den gleichförmigen Geräuschen. Wie automatisch
setzte er die Bierflasche an. Er hatte kein Zeitgefühl mehr. Wie spät war es?
Zehn Uhr? Elf? Nach Mitternacht? Es spielte keine Rolle. Irgendwann ließ ihn
der Alkohol in seinem Sessel in tiefen Schlaf fallen.
    Auf einmal schien die Sonne. Es war warm. Er lag mit Gianna an
einem wunderschönen Sandstrand, in einer kleinen Bucht. Das musste Südfrankreich
sein. Sie lauschten der Brandung, schmeckten das Salz, weil der Wind vom Meer
kam. Sie waren allein. Gianna lag in seinen Armen. Er beugte sich über sie, um
sie zu küssen, strich sanft ihre langen Haare zurück. Das liebte sie. Seine
Lippen berührten gerade ihren Mund, als das Handy in seinem Rucksack klingelte. Nicht jetzt, bitte nicht jetzt. Doch das Handy
klingelte weiter. Ohne Rücksicht, hartnäckig, erbarmungslos. Er drehte sich um,
wollte in den Rucksack greifen, um das verdammte Ding in die Wellen zu werfen.
Plötzlich war der Rucksack weg. Ebenso der Strand, das Meer – und Gianna. Dafür
saß er in der Dunkelheit, es regnete, ein kalter Windhauch zog über ihn hinweg.
Und sein Handy bimmelte ohne Unterlass.
    In der Dunkelheit leuchtete etwas auf. Mit einem Satz sprang
Vincenzo aus seinem Sessel und rannte zum Wohnzimmertisch. Dabei stieß er die
Stehlampe mit dem gläsernen Schirm um, die mit lautem Knall auf den Fliesen
zerbarst. Er griff nach dem Handy. »Hallo?«
    Aus dem Telefon kam nur ein gleichmäßiges Atmen. Es schien mit dem
Rauschen des Regens zu verschmelzen. Vincenzo fühlte das Kribbeln einer
Gänsehaut. »Reden Sie!«
    Klick – der Anrufer hatte aufgelegt. Konsterniert starrte Vincenzo
auf das Handy des Spielführers . Minutenlang. Draußen
dämmerte allmählich der Morgen herauf. Erstes Vogelgezwitscher trotzte dem
stärker werdenden Regen.
    Es klingelte erneut. Reflexartig drückte Vincenzo die grüne Taste.
»Was wollen Sie?«
    Einige Sekunden Pause, dann ertönte eine leise Stimme aus dem Handy.
»Das war nicht gut, Vincenzo. Gar nicht gut.«
    In Vincenzos Schläfen fing es an zu pochen. Er hatte einen
widerlichen Geschmack im Mund. Schlagartig setzten die Folgen seines
Alkoholexzesses ein. »Wie meinen Sie das?«
    »Vincenzo, bitte, lass uns nicht so anfangen.«
    »Was?«
    »Bitte erweise mir den nötigen Respekt. Hör auf, mich zu siezen. Wir
beide sind aus demselben Holz geschnitzt.«
    Stand er wirklich in seiner Wohnung in Sarnthein, war es seine
Lampe, die da zerbrochen auf dem Boden lag? Forderte ihn dieser Verbrecher zu
Vertraulichkeiten auf? Er versuchte, sich zu konzentrieren. »Ich verstehe. Was
wollen Sie … was willst du von mir? Wer bist du?«
    »Schon besser, mein teurer Freund. Hast du eine Vorstellung, wie oft
es geklingelt hat, bis du abgenommen hast?«
    »Geklingelt? Nein …«
    »Zwanzig Mal, Vincenzo, zwanzig! Kannst du dir das vorstellen?«
Gedämpft war die Stimme, sanft, melodisch, fremd. »Das geht nicht, Vincenzo.
Die Spielregeln verlangen, dass du allzeit bereit bist. Betrachte dieses Handy
als dein zweites Gehirn – es ist die Sicherheit für deinen Einsatz!«
    »Was haben Sie mit Gianna gemacht?«, schrie Vincenzo in das Gerät.
    Der Anrufer atmete tief durch. »Bitte«, kam es gedehnt aus dem
Handy, aber immer noch leise und ohne jegliche Aggressivität. »Nicht in diesem
Tonfall, Vincenzo. Respekt gegenüber dem Spielführer ist der Motor unseres
Spiels. Mach das nie wieder. Ich schreibe mir dafür einen Punkt gut. Auf eine
Strafe verzichte ich, weil es fair ist, dir eine einzige Entgleisung zu
verzeihen. Aber nur die eine! Erzähl, hast du gut geschlafen?«
    »Geschlafen?

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