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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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egal. Er setzte den Rucksack auf und
stieg auf den Skiern schnell weiter bergan. Den Gletscher erreichte er nach
einer halben Stunde. Ohne sich um die zahlreichen Spalten zu kümmern, die der
Neuschnee heimtückisch verdeckte, überquerte er den Gletscher fast bis zum
höchsten Punkt. Die Eisdecke hatte eine Neigung von fast fünfzig Grad, nur
erfahrene Skitourengeher konnten sich in derart schwierigem Gelände sicher
bewegen.
    Der Bergsteiger schnallte die Skier ab, steckte sie in den weichen
Schnee, blickte sich um. Die Landschaft wurde beherrscht von den Farben Weiß
und Grau, die tiefhängenden Wolken verströmten einen gasigen Geruch. Der Mann
war das einzige Lebewesen weit und breit in dieser kalten Einöde.
    Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, war er verschwunden,
abgetaucht in Schnee und Eis. Allein seine Skier verrieten noch, dass hier
jemand gewesen war. Die Spuren im Schnee waren innerhalb weniger Minuten
zugeweht.
    Fast eine Stunde verging. Dann stand der Bergsteiger ebenso unvermittelt
wieder neben seinen Skiern. Sein zuvor prall gefüllter Rucksack hing ihm jetzt
schlaff am Rücken. Er schnallte die Skier an und raste in einem enormen Tempo
über den Gletscher hinab. Inzwischen lag auch weiter unten so viel Schnee, dass
er bis zum Einstiegstunnel durchfahren konnte. Rasch verstaute er Rucksack und
Skier, schob mit einem Besen den Schnee vom Jeep und fuhr davon. Über etliche
Steilkurven erreichte er das menschenleere Tal, das inzwischen ebenfalls weiß
überzuckert war.
    ***
    Sarnthein
    Es war das Telefon, das ihn schließlich weckte. Sein Blick
fiel auf den Wecker: zehn Uhr fünfzehn. Er hatte gerade nach dem Gerät
gegriffen und im Display die Nummer seiner Eltern erkannt, als ihm das
unheimliche nächtliche Telefonat wieder einfiel. Exakt um
zehn Uhr.
    Er ließ das Telefon fallen, sprang aus dem Bett und rannte zum
Briefkasten. Auf dem Weg zurück in die Wohnung holte er den Brief aus dem
unbeschrifteten Umschlag. Erneut eine handgeschriebene Nachricht an ihn. Der Spielführer hatte sie vermutlich persönlich bei ihm
eingeworfen, während er selbst, nur wenige Meter entfernt und durch eine Tür
getrennt, in seinem Bett lag. Was für ein beklemmendes Gefühl.
    Einen wunderschönen guten Morgen, mein
lieber Vincenzo,
    ich hoffe, du hast genauso gut geschlafen
wie ich. Mir geht es prächtig. Das ist ein Sauwetter, was? Da jagt man nicht
mal einen Hund vor die Tür. Ist es nicht wunderbar, dass wir unser Spiel haben,
das uns in dieser Herbsttristesse die Langeweile vertreibt? Ich bin ein
bisschen aufgeregt, frage mich, ob du deine Aufgabe lösen und erste Punkte
sammeln kannst. Das würde mich für dich freuen. Andererseits muss ich zugeben,
dass ich ein klitzekleines bisschen sadistisch bin. Es würde mir durchaus Spaß
machen, dich mit einer Strafe zu belegen, es ist für mich einer der Reize des
Spiels. Aber ich denke, an dieser banalen Kleinigkeit wirst du nicht scheitern.
    Der Job des Spielführers bedeutet nicht nur
eine große Verantwortung, er ist auch recht kostspielig. Anfangs habe ich meine
gesamten Ersparnisse eingebracht, doch allmählich neigen sich meine Reserven
dem Ende zu. Leider gehört so etwas Profanes wie Geld zu unserem Spiel. Es wird
bei diesem einen Mal bleiben. Ich habe so kalkuliert, dass ich bis zum Ende
damit auskomme.
    Bitte besorge 50.000 Euro in bar.
Morgen hinterlegst du das Geld in einem unauffälligen Umschlag an einem Ort,
den ich dir telefonisch durchgeben werde. Ich kann dir leider nicht genau
sagen, wann das sein wird. Weißt du, ich habe im Moment viel um die Ohren.
Halte dich einfach bereit. Es stört mich übrigens gar nicht, wenn du jemanden
mitbringst, einen deiner Spielsteine oder einen anderen Kollegen. Ich finde,
ein so außergewöhnliches Spiel hat Zuschauer verdient. Du solltest ihnen
allerdings raten, sich aus unserem Spiel herauszuhalten. Das gilt
selbstverständlich auch für die Zukunft. Ich sage es nochmals in aller
Deutlichkeit: Jeglicher Versuch, mich zu observieren, mir zu folgen, mich zu
überwachen, führt entsprechend der Spielregeln dazu, dass dein Einsatz verloren
geht. Das wäre schade, zumal er doch originell und einzigartig ist. Bitte
beleidige mich nicht, Vincenzo, indem du mich und meine Beobachtungsgabe
unterschätzt. Geh davon aus, dass ich jeglichen Versuch einer Überwachung
sofort mitbekomme. Diese Mindestfähigkeit ist für den Beruf des Spielführers
eine unabdingbare Voraussetzung.
    Leider muss ich Schluss machen, ich

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