Eiszeit in Bozen
Fingerabdrücke, Brandbeschleuniger. Ein
Schlaraffenland für die Spurensicherung. Was uns nicht weiterbringt. Er findet
sich nicht in unserer Kundenkartei.«
»Verrückt. Offenbar ein Spinner, der ein bisschen Gott spielen will.
Hinterlässt für uns nutzlose Spuren, schlägt beliebig zu, hat keine bestimmte
Brandmethode, keine speziellen Ziele, kein bevorzugtes Viertel. Keinerlei
Muster, das ihn für uns berechenbar machen würde. Wie sollen wir den bloß je zu
fassen kriegen?«
»Ich befürchte, Commissario, wir müssen darauf hoffen, dass ihn bei
einem seiner Anschläge jemand sieht, dass ein Augenzeuge eine zuverlässige
Täterbeschreibung geben kann.«
Vinzenco entging der traurige Blick seines Kollegen nicht, der immer
noch keineswegs auf ihn, sondern auf die leere Etagere gerichtet war. Grinsend
ging er zu seinem Schreibtisch, öffnete die unterste Schublade, die
ausschließlich einem beachtlichen Vorrat an Cantuccini vorbehalten war, und
füllte die Etagere bis zum Rand. »Inzwischen kenne ich Sie, Ispettore. Sobald
Sie mein Büro betreten, gilt Ihr erster Gedanke nicht unserem Fall, sondern
meinen ohne Frage überaus delikaten Cantuccini. Oder liege ich falsch?«
Marzoli grinste verlegen, was ihn nicht davon abhielt, sofort
zuzugreifen. »Ich könnte mich da reinlegen, Commissario. Wissen Sie, seit ein
paar Monaten hält mich meine Barbara auf Diät. Keinen Nachschlag mehr, erst
recht nichts Süßes. Sie meint, ich wäre auseinandergegangen wie ein Hefekuchen.
Finden Sie das auch?«
Eine gefährliche Situation.
»Ich möchte nicht zwischen die Fronten geraten, deshalb sage ich
lieber gar nichts dazu. Mein Vorschlag: Schlagen Sie hemmungslos zu, also wie
gewohnt. Erzählen Sie es zu Hause nicht. Ich verspreche Ihnen, Sie nicht zu
verraten, wenn Sie mir dafür gelegentlich ein paar übrig lassen. Ich gehe
derweil mal zu Reiterer. Vielleicht gibt es neue Spuren, die uns
weiterbringen.«
Der Leiter der Spurensicherung saß an seinem Schreibtisch und
hielt eine Espressotasse in die Höhe, die er verliebt ansah.
»Ciao, Signor Reiterer. Machen Sie Ihrer Tasse gerade einen
Heiratsantrag?«
An der Tasse vorbei blickte Reiterer zu Vincenzo. »Reden Sie nicht
so dummes Zeug, Commissario. Setzen Sie sich lieber und sehen Sie sich das an!«
Vincenzo nahm auf der anderen Seite des Schreibtisches Platz. Als er
aufblickte, fuchtelte Reiterer schon mit der Tasse direkt vor seinen Augen
herum.
»Sie behaupten doch, Sie verstünden etwas von feiner Lebensart,
Bellini. Dann werden Sie mit Ihrem fachmännischen Blick gewiss erkennen, was
das ist.«
Vincenzo hielt eine weiße Espressotasse in den Händen, die auf einer
ovalen Untertasse stand. Der auffallend große, fast protzig wirkende Henkel der
Tasse schloss passgenau mit dem Oval der Untertasse ab. »Nun, ich sehe eher ein
avantgardistisches Kunstwerk als eine Tasse, Signor Reiterer. Wie sieht das
eigentlich aus, wenn ich die Tasse auf die andere Seite drehe?« Vincenzo schob
sie unter den entsetzten Blicken des Leiters der Spurensicherung im
Zeitlupentempo so lange herum, bis ihr lang gezogener Henkel asymmetrisch mit
der abgerundeten Seite der Untertasse abschloss. »Merkwürdig.«
»Bellini, Sie sind ein Banause, ist Ihnen das klar? Sie halten eine
Originaltasse von Rosenthal in Ihren Patschhändchen. Aus der
Coffee-Cult-Scoop-Serie. Drehen Sie die Tasse in die vorgesehene Position, Sie
Kulturbarbar! Schätzen Sie!«
Vincenzo befolgte Reiterers unmissverständlichen Befehl und stellte
die Harmonie der Formen zwischen Tasse und Untertasse wieder her. Keinesfalls
wollte er den Leiter der Spurensicherung in seinem Kunstverständnis
erschüttern. »Was soll ich schätzen?«
Reiterer verdrehte die Augen. »Was diese Pretiosen gekostet haben!
Ich habe sie mir gleich im Sechserset gekauft.«
Vincenzo trank liebend gerne Espresso, mit den dazugehörigen Tassen
kannte er sich allerdings überhaupt nicht aus. Er wagte einen Schuss ins Blaue.
»Fünf Euro pro Tasse?«
Reiterer schien aufrichtig entsetzt. »Wollen Sie mich auf den Arm
nehmen? Fünf lächerliche Euro? Für so ein Artefakt? Eine solche Meisterleistung
klassisch-moderner Designkunst? Ich hoffe, dass ich mich verhört habe. Siebenundzwanzig
Euro! Siebenundzwanzig!« Reiterer betonte jede Silbe dieser exorbitanten Summe
einzeln. »Pro Set, wohlgemerkt. Konzilianterweise will ich Ihnen diesen Fauxpas
nachsehen. Holen Sie sich einen Espresso aus meiner Maschine und testen Sie das
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