Eiszeit in Bozen
Kaffee und schaute sinnierend auf
ihren Bildschirm. Als Vincenzo eintrat, blickte sie mit einem Lächeln auf, das
vor allem eines verriet: Stolz.
»Ah, Commissario, auf Sie habe ich gewartet. Holen Sie sich einen
Kaffee, kommen Sie zu mir, ich will Ihnen etwas zeigen.«
Vincenzo war viel zu gespannt, um Kaffee zu trinken. Er trat sofort
neben Paci, die ihren Bildschirm reflexartig ausschaltete. Vincenzo sah sie
fragend an.
»Bevor ich Ihnen mein Meisterwerk offenbare, sollten Sie wissen, was
ich gemacht habe. Ich habe es geschafft, das Gesicht zu rekonstruieren. Wir
haben ein neues Computerprogramm, schneller als alles, was ich bisher kannte.
Ihr Toter ist mein erster Versuch, und es hat gleich funktioniert.« Sie
strahlte über das ganze Gesicht. »Das ist alles ziemlich kompliziert. Ich habe
die ganze Nacht durchgearbeitet. Heute früh war das Programm fertig, und das
Ergebnis ist sensationell, so gut wie ein Foto. Ich bin restlos begeistert! Nun
dürfen Sie ihn sich anschauen. Bereit?«
»Warum haben Sie denn daran weitergearbeitet? Sie hatten doch
Zabatinos Haarbürste.«
Das war für Paci ein Affront. »Lieber Commissario, Sie haben mir
Druck gemacht, weil Sie wissen wollten, wie sein Gesicht aussah, bevor es von
einem Talferstein in eine gleichförmige Masse verwandelt wurde. Wenn ich einmal
angefangen habe, höre ich nicht mittendrin auf. Selbstverständlich habe ich
auch die Haare analysiert. Für Sie bedeutet das, dass Sie gleich zwei Beweise
kriegen. Wollen Sie das Gesicht jetzt sehen oder nicht?«
Als Vincenzo entschuldigend nickte, schaltete Paci ihren Bildschirm
mit einem »Voilà« wieder an. Sie hatte nicht übertrieben, das Bild war von
bemerkenswerter Qualität. Eine Überraschung war es hingegen nicht. Ein längliches,
auffallend schmales Gesicht, dünne, gepresste Lippen, kleine Augen, eine zu
groß geratene Nase. Wahrscheinlich Zabatino.
Paci hatte sich ein Lob verdient. »Ich bin begeistert, Signora,
Respekt! Nie zuvor habe ich etwas Vergleichbares gesehen. Was für eine
gestochen scharfe Auflösung, kein Vergleich zu seinem Foto in der Personalakte.
Vielen Dank! Könnten Sie mir sicherheitshalber sagen, ob auch die Haare zu
unserem Talfertoten passen?«
Pacis Antwort war ebenso knapp wie unmissverständlich. »Eindeutig
Zabatino.«
Damit war der Fall für Vincenzo klar. Sein psychopathischer Patient
hatte den Psychiater umgebracht, um an seine Codekarte zu kommen.
Wahrscheinlich hatte er den desillusionierten, zurückgezogen lebenden Arzt
monatelang ausgehorcht, um zu erfahren, wie die Abläufe in der Abteilung waren,
was für ein Leben er führte, ob er eine Frau, Freundin, Verwandte oder Freunde
hatte. Der frustrierte Eigenbrötler Zabatino, den niemand vermissen würde,
erwies sich als perfekt für seinen Racheplan. Giannas Entführung, ihre Kette um
Zabatinos Knöchel – alles passte. Seine Kollegen irrten sich, und sein Instinkt
hatte ihn von Anfang an nicht getäuscht. Nur so recht freuen konnte er sich
darüber nicht. Er wusste, wozu dieser kranke Mensch fähig war. Ein Oberrautner
wäre ihm lieber gewesen, der hatte noch niemanden umgebracht.
Mit einem Ausdruck des Bildes in der Hand verabschiedete er sich von
Signora Paci, die sich längst wieder hingebungsvoll ihrem Bildschirm zugewandt
hatte. Zweifellos hielt Reiterer in der Spurensicherung weitere Hinweise auf
Zabatinos Patienten bereit. Aber was sollten sie damit anfangen? Giannas
Versteck blieb trotzdem unbekannt.
***
St. Pankraz, 07.45 Uhr
Maria Hofer wurde von Tag zu Tag nervöser. Dieser Mann war
in ihr Leben geplatzt und hatte es völlig durcheinandergebracht. Seit
Jahrzehnten schon lebte sie in derselben Umgebung, jeden Tag dieselben Abläufe,
Kühe melken, kochen, putzen … In ihrem Leben hatte es nur einen Mann gegeben,
und der war schon lange tot. Dann hatte sie ihre kleine Appartementanlage
eingerichtet und mit mehr Menschen zu tun bekommen als früher, was nichts daran
änderte, dass immer noch alles nach einem festen Schema ablief.
Ihre Gäste waren typische Touristen. Die einen wollten mit der
Familie nach Südtirol, weil diese Region als eine der schönsten der Alpen galt,
dort fast immer die Sonne schien, die Menschen nett und zugänglich waren und es
manches kulinarische Schmankerl gab. Die anderen waren Bergsteiger und
Skifahrer. Aber alle waren klassische Durchschnittstypen, die meisten
sympathisch und in der Regel schnell wieder vergessen.
Mit diesem Stadler war es anders. Sie war nicht verliebt
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