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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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Onorio Falier all’Ombretta und das
Biwak Marco dal Bianco am Ombrettapass. Das befand sich zwar nicht im Bereich
des Hauptgletschers, einen Versuch war es dennoch wert. Das Rifugio Contrin kam
nicht in Betracht. Das lag im Tal und hatte ganzjährig geöffnet. Wären die Wege
nicht alle zugeschneit, würden ihm auf dem heutigen Weg etliche Bergsteiger
begegnen.
    Allmählich beschlichen ihn Zweifel, ob Gianna tatsächlich in der
Marmolata gefangen gehalten wurde. Der Berg war weltberühmt, jedes Jahr kamen
Tausende Bergsteiger aus aller Herren Länder. Selbst bei diesen unsicheren Weg-
und Witterungsverhältnissen war es möglich, dass sich ein paar erfahrene
Alpinisten bis ins Hochgebirge vorwagten. Dann bestand die Gefahr, dass Gianna
gefunden wurde.
    Aber galt das bei näherem Hinsehen nicht für alle Gletschergebiete
in Südtirol und im angrenzenden Trentino? Der Ortler war nicht weniger bekannt,
und auch in die Adamello- und Presanellagruppe kamen immer mehr Bergsteiger.
Hatte er sich tatsächlich dermaßen geirrt? Nein, er war sich absolut sicher,
dass Giannas Verschwinden etwas mit Südtirols Gletschern zu tun hatte.
Vielleicht war ihm nur noch nicht klar geworden, was.
    Für heute blieb die Hoffnung, dass er bei seinen letzten Versuchen
mehr Glück hatte. Sein Höhenmesser, den er am Vorabend auf die Höhe der Capanna
al Ghiacciaio, zweitausendsiebenhundert Meter, eingestellt hatte, zeigte nun,
am frühen Morgen, zweitausendachthundertzwanzig Meter an. Das hieß, dass der
Luftdruck allein während der Nacht um fünfzehn Hektopascal gefallen war. Tags
zuvor waren es zehn Hektopascal gewesen. Außerdem zogen vermehrt Haufenwolken
auf, ein sicherer Schlechtwetterbote. Was sich über den Ozeanen zusammenbraute,
war mächtig. Viel Zeit blieb nicht mehr. Wenn sein Gefühl ihn nicht trog, hing
Giannas Leben an einem seidenen Faden.
    Er setzte seinen zwanzig Kilogramm schweren Rucksack auf, mit dem er
sich schneller bewegen konnte als ein normaler Wanderer ohne Gepäck, und
marschierte weiter. Als er die Westflanke der Marmolata umrundet hatte, sah er
eine milchige Sonne tiefrot im Osten aufgehen. Der ganze Marmolatagletscher war
rot eingefärbt, ein ebenso phantastisches wie seltenes Naturerlebnis. Leider
auch ein weiteres Schlechtwetterzeichen, genau wie der allmählich auffrischende
Südostwind und die in der Höhe zögernd ansteigenden Temperaturen. Mit etwas
Glück würde der Wind, ausgelöst durch das Hochdruckgebiet im Osten und die
großen Luftdruckgegensätze, das bevorstehende Wetterchaos einen weiteren Tag
lang aufhalten.
    ***
    Bozen, 11.00 Uhr
    Elisabeth Oberrautner lauschte Vincenzos Ausführungen mit
versteinertem Blick. Er hatte ihr die Briefe gezeigt, ihr vom Talfertoten und
der Entführung seiner Lebensgefährtin berichtet. Es gab einige Fragen, deren
Beantwortung ihre Ermittlungen vielleicht ein wenig weiterbringen konnten, vor
allem in Bezug auf Giannas Versteck. »Es tut mir leid, Ihnen diese traurigen
Erkenntnisse mitteilen zu müssen, Signora Oberrautner, aber die Indizienlage
ist eindeutig. In Ihrem Mann scheint sich über Jahre hinweg eine so unbändige
Wut angestaut zu haben, dass er jetzt wie ein Vulkan explodiert ist. Das
Wichtigste ist zu verhindern, dass ihm ein weiterer Mensch zum Opfer fällt.
Dass ich selbst emotional beteiligt bin, bedarf keiner Erklärung.«
    Sie lächelte müde. »Commissario, Sie haben mein Mitgefühl, das
können Sie mir glauben. Ich weiß, wie Sie sich fühlen. Zu gerne würde ich Ihnen
helfen, mir geht es nämlich nicht anders. Aber ich kann es nicht. Sie sind auf
dem Holzweg, Michael hat nichts damit zu tun. Ich könnte verzweifeln, weil man
mir partout keinen Glauben schenken will.«
    »Signora, Fingerabdrücke Ihres Mannes an der Kette meiner
Lebensgefährtin, die Gewissheit, dass es unser zweiter Hauptverdächtiger nicht
sein kann, dazu die weiteren Hinweise, all das spricht eine eindeutige Sprache.
Ich verstehe Sie, doch es nützt nichts. Bitte beantworten Sie mir ein paar
Fragen. Wir müssen wissen, in welchen hochalpinen Regionen des Landes sich Ihr
Mann am besten auskennt. Hat er bevorzugte Berggruppen, wohin ist er für
Gletscherbegehungen oder Skitouren gefahren? Hat er eine Hütte, Wohnung, einen
Campingplatz, ein Refugium, wo er sich zum Beispiel zum Schreiben zurückgezogen
hat? Und ehe ich es vergesse: Geben Sie mir bitte eine Schriftprobe von Ihrem
Mann mit, einen Brief, Notizen zu seinen Büchern …«
    Michael Oberrautner war ein begnadeter

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