Eiszeit
ertragen hatte, als sie sechs Jahre alt gewesen war.
Pete hatte Schwierigkeiten, sich in den Anzug zu zwängen. »Sind diese Russen alle Pygmäen?« sagte er.
Alle lachten.
So gut war der Witz nun auch nicht gewesen. Ihr bereitwilliges Gelächter verriet nur die Anspannung. Harry spürte, daß jeder einzelne von ihnen jeden Augenblick in Panik ausbrechen konnte.
23:15 - DETONATION IN FÜNFUNDVIERZIG MINUTEN
Der Lautsprecher an der Decke gab ihnen die schlechte Nachricht vom Torpedo-Offizier bekannt, die alle im Kontrollraum erwartet hatten: »Dieses Schott sondert wieder Flüssigkeit ab, Herr Kapitän.«
Gorow wandte sich von den Computerbildschirmen ab und zog ein Mikrofon hinab. »Kapitän an Torpedoraum. Ist es nur ein dünner Film, genau wie beim letzten Mal?«
»Ja, Herr Kapitän. In etwa genauso.«
»Behalten Sie es im Auge.«
»Wir kennen jetzt die Tiefe des Eises über uns«, sagte Emil Schukow. »Wir könnten auf sechshundert Fuß hinaufsteigen, in die Schale des Trichters.«
Gorow schüttelte den Kopf. »Im Augenblick müssen wir uns nur um eins Sorgen machen — um den Schweißfilm auf dem Schott im Torpedoraum. Wenn wir auf sechshundert Fuß aufsteigen, haben wir dieses Problem noch immer, müßten aber noch zusätzlich befürchten, daß der Eisberg plötzlich in eine neue Strömung gerät und die alte verläßt.«
Wenn sie vorsichtig um einhundert Fuß oder mehr in den Hohlraum hinaufstiegen, um den fürchterlichen Druck auf die Hülle etwas abzuschwächen, würde die Pogodin im Prinzip in dem Berg stecken wie ein ungeborenes Baby im Leib seiner Mutter. Wenn der Eisberg sich dann schneller oder langsamer bewegte, als er es im Augenblick tat, bekämen sie vielleicht erst mit, was vor sich ging, wenn es zu spät war. Sie würden mit dem tieferen Eis kollidieren, das vor ihrem Bug oder hinter ihrem Heck lag.
»Wir behalten die Position bei«, sagte Gorow.
Das Notizbuch hatte eine böse Kraft, die Gunvald entsetzlich zwingend vorkam. Der Inhalt schockierte ihn, widerte ihn an und ließ ihm körperlich übel werden, und doch konnte er dem Drang nicht widerstehen, die nächste Seite zu lesen, und die nächste, und noch eine. Er war wie ein wildes Tier, das auf die Gedärme und den halb aufgefressenen Kadaver eines Exemplars seiner eigenen Art gestoßen war, das einem Raubtier zum Opfer gefallen war: Er steckte die Nase in die Überreste und schnüffelte begierig, verängstigt, aber neugierig. Er schämte sich dafür, empfand jedoch eine morbide Faszination für das schreckliche Schicksal, das einem seiner eigenen Art zustoßen konnte.
In gewisser Hinsicht war das Notizbuch das Tagebuch des Wahnsinns, die Tag um Tag und Woche um Woche verfaßte Chronik eines Geistes, der vom Grenzland der Vernunft in die Gefilde des Irrsinns reiste — wenngleich der Verfasser ganz offensichtlich nicht dieser Meinung war. Diesem gestörten Menschen kam das Tagebuch vielleicht wie ein Forschungsprojekt vor, eine aus offiziellen Quellen zusammengestellte Aufzeichnung einer eingebildeten Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten und die Demokratie überhaupt. Ausschnitte aus Zeitungen und Zeitschriften waren entsprechend ihrer Erscheinungsdaten angeordnet und mit Tesafilm auf die Seiten des Notizbuchs geklebt worden. Neben jeden Ausschnitt hatte der Mann, der das Material zusammengetragen hatte, Kommentare an den Rand geschrieben.
Die frühesten Eintragungen schienen aus den unterschiedlichsten amateurhaft hergestellten politischen Zeitschriften mit geringer Auflage herausgeschnitten worden zu sein, die sowohl von extremen rechten als auch linken Gruppierungen in den Vereinigten Staaten veröffentlicht worden waren. Dieser Mann fand die Nahrung für seine brennende Paranoia an beiden Enden des Spektrums. Es handelte sich um wild übertriebene Schreckensgeschichten der geistlosesten Sorte, allesamt einfältig und skandalös: Der Präsident war ein entschiedener Kommunist der harten Linie — und in dem nächsten Artikel ein knallharter Faschist. Der Präsident war ein Homosexueller, der sich nicht zu outen wagte und eine Vorliebe für minderjährige Knaben hatte — oder vielleicht ein unersättlicher Satyr, dem man jede Woche zehn Nutten ins Weiße Haus schmuggelte. Der Papst war entweder ein verächtlicher rechter Eiferer, der insgeheim Diktatoren von Ländern der Dritten Welt unterstützte, oder ein linker Verrückter, der es auf die Vernichtung der Demokratie und die Beschlagnahme des gesamten Reichtums
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