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Eiszeit

Eiszeit

Titel: Eiszeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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den Rücken zum Wind, zog an der Kordel an seinem Kinn und lockerte seine Kapuze. Er griff in seine Jacke und bekam die dicke, wollene Schneemaske zu fassen, die um seinen Hals zusammengefaltet war. Er zog sie über den Mund und die Nase. Nun lag kein einziger Teil seines Gesichts mehr frei. Was die Maske nicht verbarg, wurde von der Kapuze und der Brille verborgen. Er zog die Kapuze wieder fest und band die Kordel stramm. »Pete«, sagte er dann durch die Maske, »du bist einfach zu groß, um auf dem Anhänger mitfahren zu können.«
    »Du bist selbst nicht gerade ein Zwerg.«
    »Aber ich bin klein genug, um mich auf der Seite zusammenzurollen und aus dem verdammten Wind rauszukommen. Du müßtest sitzen, sonst paßt du überhaupt nicht hinein. Und wenn du aufrecht sitzt, wirst du erfrieren.«
    »Schon gut, schon gut. Du bist also entschlossen, den Helden zu spielen. Aber vergiß nicht — am Ende des Feldzugs gibt es keine Orden.«
    »Wer braucht schon Orden?« Harry stieg in den Anhänger und setzte sich in die Mitte. »Ich habe es darauf abgesehen, heiliggesprochen zu werden.«
    Johnson beugte sich zu ihm vor. »Glaubst du, du kämst in den Himmel, wenn du eine Frau hast, die mehr dreckige Witze kennt als alle Männer in der Station Edgeway zusammen?«
    »Ist das nicht offensichtlich, Pete?«
    »Was?«
    »Gott hat Humor.«
    Pete warf einen Blick auf die sturmgepeitschte Eishülle. »Ja«, sagte er. »Einen wirklich schwarzen Humor.« Er ging zur Kabinentür und warf einen Blick zurück. »Weißer Narr«, sagte er mit unverkennbarer Zuneigung. Dann setzte er sich hinter die Lenkstange und schloß die Tür.
    Harry warf einen letzten Blick auf den Teil der Eishülle, der von den Scheinwerfern des Schneemobils erhellt wurde. Er dachte nicht oft in Metaphern, aber die Dunkelheit auf der Spitze der Welt, irgendeine Eigenschaft der Landschaft, verlangte geradezu nach ihnen. Vielleicht konnte man die kaum vorstellbare Feindseligkeit des grausamen Landes nur richtig erfassen, wenn man in Metaphern dachte, die sie weniger fremdartig, weniger erschreckend machten. Die Eishülle war ein sich duckender Drache von monströsen Ausmaßen. Die glatte, tiefe Dunkelheit war das klaffende Maul des Drachen. Der fürchterliche Wind war sein Wutschrei. Und der Schnee, der mittlerweile so dicht fiel, daß man keine zehn Meter weit mehr sehen konnte, war der Speichel des Ungeheuers, oder vielleicht auch Schaum, der von seinem Maul tropfte. Wenn er sich dazu entschloß, konnte er die Menschen verschlingen, ohne daß etwas von ihnen übrigblieb.
    Das Schneemobil setzte sich in Bewegung.
    Harry wandte sich von dem Drachen ab und legte sich auf die linke Seite. Er zog die Knie an die Brust, steckte den Kopf dazwischen und faltete die Hände unter seinem Kinn. Mehr Schutz konnte er sich nicht verschaffen.
    Die Bedingungen in dem Anhänger waren noch schlechter, als er erwartet hatte — und er hatte damit gerechnet, daß sie fast unerträglich sein würden. Die Aufhängung war bestenfalls primitiv, und jede Unregelmäßigkeit der Schneehülle wurde von den Skiern und Rädern augenblicklich an die Ladefläche weitergegeben. Er hüpfte und rutschte von einer Seite der schmalen Fläche auf die andere. Selbst seine schwere Kleidung konnte ihn nicht völlig vor den härtesten Erschütterungen abschirmen, und in den Rippen auf seiner rechten Seite vibrierte schon bald ein gedämpfter Schmerz. Der Wind schlug aus jeder Richtung auf ihn ein; Böen eiskalter Luft suchten geschäftig und unablässig nach einer Lücke in seiner arktischen Panzerung.
    Da er wußte, daß er es nur noch viel schlimmer machte, wenn er über seinen Zustand nachdachte, versuchte er, seine Gedanken in andere Bahnen zu leiten. Er schloß die Augen und beschwor ein lebhaftes Bild von Rita herauf. Aber um nicht daran denken zu müssen, wie es ihr jetzt ging — kalt, verängstigt, elend, verletzt oder sogar tot —, ließ er seinen Verstand in die Zeit zurückgleiten, zurück zu dem Tag, an dem sie sich kennengelernt hatten. Der zweite Freitag im Mai. Vor fast neun Jahren. In Paris ...
     
    Er hatte an einer viertägigen Konferenz von Wissenschaftlern teilgenommen, die am vorausgegangenen Geophysikalischen Jahr der Vereinten Nationen mitgewirkt hatten. Aus aller Herren Länder hatten sich dreihundert Männer und Frauen unterschiedlichster Fachbereiche in Paris versammelt, um an Seminaren, Vorlesungen und Diskussionen teilzunehmen. Finanziert wurde die Konferenz von einem

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