Eiszeit
Ohr. »Voller Zugriff.«
»Etwas Interessantes?«
»Noch nicht viel. In der Nähe der Küste testet die amerikanische Marine Ausrüstungsgegenstände unter winterlichen Bedingungen.«
Obwohl sie im langen Schatten des Endes des Kalten Krieges lebten, in einer Zeit, in der alte Feinde plötzlich neutral oder sogar angeblich zu guten Freunden geworden waren, war der Großteil des ehemaligen sowjetischen Geheimdienstapparates sowohl zu Hause als auch im Ausland intakt geblieben. Die russische Marine sammelte weiterhin Informationen an den Küsten aller bedeutenden westlichen Nationen und auch an den meisten Orten von strategischer militärischer Bedeutung in der Dritten Welt. Schließlich war die Veränderung die einzige Konstante. Wenn Feinde praktisch über Nacht zu Freunden werden konnten, konnten sie mit ähnlicher Schnelligkeit auch wieder zu Feinden werden.
»Halten Sie mich auf dem laufenden«, sagte Gorow. Dann ging er in die Offiziersmesse und aß zu Mittag.
13:40
Harry kauerte neben dem Kurzwellensender nieder. Er hatte Kontakt mit der Station Edgeway. »Bist du nach Thule durchgekommen?« fragte er.
Obwohl Gunvald Larssons Stimme klang, als würde sie von einem Sieb aus Rauschen gefiltert, war sie verständlich. »Ich stand in den vergangenen fünfundzwanzig Minuten in ständigem Kontakt mit ihnen und mit norwegischen Beamten in einer meteorologischen Station auf Spitzbergen.«
»Kann einer von ihnen uns erreichen?«
»Die Norweger hängen so ziemlich im Eis fest. Die Amerikaner in Thule haben mehrere Kaman-Huskies. Das sind ihre üblichen Rettungshubschrauber. Die Huskies haben Hilfstreibstofftanks und eine große Reichweite. Aber die Bodenverhältnisse sind zu schlecht, als daß sie starten könnten. Schreckliche Stürme.«
»Es ist nicht zufällig ein Eisbrecher oder ein Schlachtschiff in unserer Nähe?«
»Die Amerikaner sagen, nein.«
»Soviel zu Wundern.«
»Glaubst du, ihr könnt durchhalten?«
»Wir haben noch keine Bestandsaufnahme unserer Vorräte gemacht, aber ich bin sicher, daß der Treibstoff, den wir haben, uns auf keinen Fall länger als vierundzwanzig Stunden warm halten wird.«
In der Eishöhle hallte das laute Knattern des statischen Rauschens wider, das wie Schüsse aus einer Maschinenpistole klang.
Gunvald zögerte. Dann: »Den neuesten Vorhersagen zufolge ist die Großwetterlage schlechter als jede andere, die wir in diesem Winter gehabt haben. Uns steht eine Woche bitterer Stürme bevor. Einer nach dem anderen. Nicht mal eine kleine Erholungspause dazwischen.«
Eine Woche. Harry schloß die Augen, weil er in dieser Eiswand hinter dem Funkgerät, auf dieser prismatischen Oberfläche, nur allzu deutlich ihr Schicksal sah. Selbst in Thermalkleidung, selbst abgeschirmt vor dem Wind, konnten sie ohne Wärme diese Woche auf keinen Fall überleben. Sie hatten praktisch keine Vorräte, und der Hunger würde ihre Widerstandsfähigkeit gegen die Temperaturen tief unter dem Gefrierpunkt schwächen.
»Harry, hast du mich verstanden?«
Er öffnete die Augen wieder. »Ich habe dich verstanden. Es sieht nicht gut aus, oder? Andererseits treiben wir nach Süden, aus der Schlechtwetterzone hinaus.«
»Ich habe die Karten studiert. Hast du eine Ahnung, wie viele Kilometer euer Eisberg pro Tag zurücklegen wird?«
»Laß mich mal überlegen ... fünfzig, vielleicht sechzig.«
»Genau darauf bin ich mit Hilfe der Karten auch in etwa gekommen. Und weißt du, welcher realen Bewegung in südlicher Richtung das entspricht?«
Harry dachte darüber nach. »Dreißig Kilometer pro Tag?«
»Bestenfalls. Vielleicht auch nur fünfzehn.«
»Fünfzehn. Bist du dir sicher? Streiche das. Dumm von mir. Natürlich bist du dir sicher. Und wie groß genau ist diese Schlechtwetterzone?«
»Harry, sie herrscht noch hundertachtzig Kilometer südlich von eurer letzten bekannten Position vor. Ihr würdet acht oder zehn Tage oder vielleicht sogar noch länger brauchen, um aus dem Schneesturm herauszukommen und eine Position zu erreichen, wo diese Hubschrauber ungefährdet landen können.«
»Was ist mit den Trawlern der UNO?«
»Die Amerikaner haben sie über die Lage informiert. Beide Schiffe dampfen mit Höchstgeschwindigkeit auf euch zu. Aber Thule zufolge ist die See auch zwischen den Sturmgebieten äußerst rauh. Und diese Trawler sind dreihundertundfünfzig Kilometer entfernt. Unter den gegebenen Umständen bedeutet ihre Höchstgeschwindigkeit gar nichts.«
Sie mußten genau wissen, woran
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