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Eiszeit

Eiszeit

Titel: Eiszeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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so schlecht, daß er nicht mal Flüssigkeiten bei sich behalten konnte. Man hat ihn ins Krankenhaus gebracht, um ihn intravenös zu ernähren und einer Austrocknung vorzubeugen.«
    Zur Zeit des gestürzten Regimes war die medizinische Versorgung vom Staat genau kontrolliert worden — und selbst nach dem Standard von Ländern der Dritten Welt einfach schrecklich gewesen. Die meisten Krankenhäuser hatten nicht mal genug Geräte gehabt, um ihre Instrumente sterilisieren zu können. Diagnosegeräte waren fürchterlich knapp und die Budgets der einzelnen Häuser so knapp bemessen gewesen, daß man schmutzige Nadeln subkutaner Spritzen regelmäßig mehrfach verwendet hatte, wodurch der Ausbreitung von Krankheiten oftmals Vorschub geleistet worden war. Der Zusammenbruch des alten Systems war ein Segen gewesen; doch das verjagte Regime hatte die Nation bankrott zurückgelassen, und in den letzten Jahren war die Qualität der Gesundheitsfürsorge sogar noch schlechter geworden.
    Gorow erschauderte bei dem Gedanken, der kleine Nikki könne der Obhut von Ärzten anvertraut worden sein, die auf medizinischen Universitäten ausgebildet worden waren, die moderner oder besser ausgerüstet worden waren als die Krankenhäuser, in denen sie dann später arbeiteten. Sicherlich betete jeder Vater auf der Welt dafür, daß seine Kinder gesund blieben, aber im neuen Rußland war genau wie in dem alten Reich Anlaß zur Besorgnis, wenn nicht sogar zur stillen Panik gegeben, wenn ein geliebtes Kind ins Krankenhaus eingewiesen wurde.
    »Man hat Sie nicht benachrichtigt«, sagte Okudschawa und rieb geistesabwesend mit der Spitze des Zeigefingers seine Nase, »weil Sie auf einer hochgeheimen Mission waren. Außerdem schien sein Zustand nicht kritisch zu sein.«
    »Aber es war weder das Pfeiffersche Drüsenfieber noch eine Grippe?«
    »Nein. Dann hat man vermutet, ein rheumatisches Fieber könne dafür verantwortlich sein.«
    Nachdem Nikita Gorow so lange mit dem Druck gelebt hatte, befehlshabender Offizier eines U-Boots zu sein, und gelernt hatte, sich weder bei den periodisch auftretenden mechanischen Schwierigkeiten seines Schiffes noch von der feindseligen Kraft der See beeindruckt zu zeigen, gelang es ihm, ein ruhiges Äußeres zu bewahren, obwohl vor seinem inneren Auge Bilder von Nikki wirbelten, der leidend und verängstigt in einem von Küchenschaben heimgesuchten Krankenhaus lag. »Aber es war kein rheumatisches Fieber.«
    »Nein«, sagte Okudschawa. Er betastete noch immer seine Warze und sah nicht Gorow an, sondern den Hinterkopf des Fahrers. »Und dann ließen die Symptome kurzzeitig nach. Vier Tage lang schien er bei bester Gesundheit zu sein. Als die Symptome sich dann wieder einstellten, führte man neue Tests durch. Und dann ... vor acht Tagen hat man herausgefunden, daß er einen bösartigen Gehirntumor hat.«
    »Krebs«, sagte Gorow heiser.
    »Der Tumor ist zu groß, um operativ entfernt werden zu können, und viel zu weit fortgeschritten für eine Strahlenbehandlung. Als ersichtlich wurde, daß Nikolais Zustand sich rapide verschlechterte, haben wir Ihre Funkstille gebrochen und Sie zurückgerufen. Das war die menschliche Entscheidung, auch wenn wir Ihre Mission damit in Gefahr gebracht haben.« Er hielt inne und sah Gorow dann endlich an. »In den alten Zeiten wären wir dieses Risiko natürlich nicht eingegangen, aber jetzt haben wir bessere Zeiten«, fügte Okudschawa mit einer so offenkundigen Unaufrichtigkeit hinzu, daß er genausogut Hammer und Sichel, das Emblem, dem er in Wirklichkeit treu ergeben war, auf der Brust hätte tragen können.
    Gorow war Boris Okudschawas Sehnsucht nach der verdammten Vergangenheit scheißegal. Ihm war auch die Demokratie scheißegal, die Zukunft, er selbst — nur sein Nikki nicht. Auf seinem Nacken hatte sich kalter Schweiß gebildet, als hätte der Tod ihn dort leicht mit eisigen Fingern berührt, während er auf dem Weg zum Bett des Jungen oder schon wieder zurück war.
    »Können Sie nicht schneller fahren?« fragte er den jungen Offizier hinter dem Lenkrad.
    »Wir sind bald da«, versicherte Okudschawa ihm.
    »Er ist erst acht Jahre alt«, sagte Gorow eher zu sich selbst als zu einem der beiden Männer, mit denen er im Wagen saß.
    Keiner der beiden antwortete darauf.
    Gorow sah die Augen des Fahrers im Rückspiegel; in dem Blick des Mannes schien Mitleid zu liegen. »Wie lange hat er noch zu leben?« fragte er, obwohl es ihm fast lieber gewesen wäre, es nicht zu

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