Eiszeit
über seinen Fund in Kenntnis setzen.
»Eis über uns. Einhundert Fuß.«
Gorow verließ den Kommandostand und trat hinter den Techniker, der das Oberflächen-Echolot ablas.
»Eis über uns. Einhundertundzwanzig Fuß.«
»Wie kann es zurückweichen?« Gorow runzelte die Stirn, zögerte, dem Beweis zu glauben, den genau dieselbe Technik lieferte, der er bislang stets vertraut hatte. »Mittlerweile hat der Eisberg uns seine schmale Seite zugewandt. Wir können also nicht mal unter der Hälfte seiner Länge hinweggeglitten sein. Es hängt noch immer ein riesiger, langer Berg über uns.«
Der Techniker runzelte ebenfalls die Stirn. »Ich verstehe es auch nicht, Herr Kapitän. Aber jetzt beträgt die Höhe schon einhundertundvierzig Fuß, und sie nimmt noch immer zu.«
»Einhundertundvierzig Fuß freies Wasser zwischen uns und der Unterseite des Eisbergs?«
»Jawohl, Herr Kapitän.«
Das Oberflächen-Echolot war eine moderne Version jenes Geräts, mit dem man seit Jahrzehnten feststellte, wie tief der Meeresboden sich unter einem U-Boot befand. Es schickte in einer genau festgelegten Ausdehnung Hochfrequenz-Tonwellen hinauf, die auf der Unterseite des Eises — falls es sich tatsächlich über ihnen befand — ein Echo erzeugten, bestimmte die Distanz zwischen der Spitze der Finne und der gefrorenen Meeresdecke. Es gehörte zur Standardausrüstung eines jeden Schiffes, das eventuell einmal — bei seltenen Gelegenheiten, wenn überhaupt — unter der Eishülle fahren mußte, um seine Pflichten zu erfüllen oder einem feindlichen Schiff zu entkommen.
»Einhundertundsechzig Fuß, Herr Kapitän.«
Die Nadel des Oberflächen-Echolots zitterte auf dem Endlospapier hin und her, das ihr über eine Walze zugeführt wurde. Der schwarze Streifen, den sie zog, wurde ständig breiter. »Eis über uns. Einhundertundachtzig Fuß.«
Das Eis über ihnen wich weiterhin zurück.
Es ergab nicht den geringsten Sinn.
Der Lautsprecher über dem Kommandostand zischte und knisterte. Die Stimme, die aus ihm drang, klang verdrossen und metallisch, wie es bei allen Stimmen der Fall war, die man über die bordinterne Sprechanlage vernahm. Der Torpedo-Offizier machte eine Meldung, die Nikita Gorow nie zu hören gehofft hatte, ganz gleich, in welcher Tiefe, geschweige denn auf siebenhundertvierzig Fuß. »Kapitän, unser vorderes Schott sondert Feuchtigkeit ab.«
Alle Männer im Kontrollraum erstarrten. Ihre Aufmerksamkeit war auf die Meldungen über die Eishöhe und die Sonarmessungen gerichtet gewesen, da die größte Gefahr davon auszugehen schien, daß sie von einem langen Stalaktiten aus Eis gerammt werden würden, der von der Unterseite des Bergs hinabhing. Die Warnung des Torpedo-Offiziers war eine beunruhigende Erinnerung daran, daß sie vor der rasenden Tauchfahrt mit Treibeis von unbekannter Masse kollidiert waren und sich nun mehr als siebenhundert Fuß unter der Oberfläche befanden, in einer Tiefe, in der jeder Quadratzentimeter der Hülle einem brutalen Druck ausgesetzt war. Millionen und Abermillionen Tonnen Salzwasser befanden sich zwischen ihnen und der Welt des Himmels und der Sonne und der unbegrenzten Luft, die ihre wirkliche Heimat war.
Gorow zog das Deckenmikrofon hinab. »Kapitän an Torpedoraum«, sagte er. »Hinter diesem Schott liegt trockene Isolierung.«
War vor einem Augenblick noch der Tiefenmesser das Zentrum des Interesses gewesen, so traf dies jetzt auf den Lautsprecher zu. »Ja, Herr Kapitän. Aber es sondert trotzdem Flüssigkeit ab. Die Isolierung dahinter muß jetzt naß sein.«
Anscheinend hatten sie sich doch einen gefährlichen Schaden zugezogen, als sie mit dem Treibeis kollidiert waren. »Tritt viel Wasser aus?«
»Nur ein Schweißfilm, Herr Kapitän.«
»Wo haben Sie ihn gefunden?«
»An der Schweißnaht zwischen Rohr Nummer vier und Rohr Nummer fünf«, sagte der Torpedo-Offizier.
»Irgendwelche Materialverzerrungen?«
»Nein, Herr Kapitän.«
»Halten Sie die Stelle genau im Auge«, sagte Gorow.
»Ich habe für nichts anderes Augen mehr, Herr Kapitän.«
Gorow ließ das Mikrofon los, und die Feder zog es wieder unter die Decke.
Schukow war am Kommandostand. »Wir können jetzt den Kurs ändern, Herr Kapitän.«
»Nein.«
Gorow wußte, was sein Erster Offizier dachte. Sie glitten unter der Länge des Eisbergs hinweg, und die Hälfte davon — noch mindestens sechshundertfünfzig Meter — lag noch vor ihnen. Sowohl auf Backbord als auch auf Steuerbord würden sie jedoch
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