Eitle Liebe: Wie narzisstische Beziehungen scheitern oder gelingen können (German Edition)
Sie wehrt sich wie als kleines Mädchen dagegen, stehen gelassen oder kritisiert zu werden. Bevor sich ihr Schmerz und ihre Sehnsucht Bahn brechen würden, wehrt sie sie mit aggressiven Ausbrüchen ab. Doch im Grunde kämpft sie darum, nicht unterzugehen und endlich gesehen zu werden. Die Heftigkeit ihrer Reaktion zeigt die Dringlichkeit und Existenzbedrohung der Vierjährigen. Die kann Justus jedoch weder verstehen noch ernst nehmen. Denn er selbst fühlt sich wie der kleine Junge, der verbal eine Tracht Prügel bekommt und nicht weiß, was er falsch gemacht hat. Wie oft hat er sich stark und stimmig gefühlt, wenn er mit seinen Kumpels im nahen Wäldchen gespielt hat und die Zeit vergaß. Wenn er aber zu spät zum Essen erschien, gab es ein großes Drama und Prügel, oft wurde er zur Strafe ohne Abendbrot ins Bett geschickt, und dabei hatte er doch nur gespielt. Alles Argumentieren war sinnlos, es stachelte den Zorn der Eltern nur noch mehr an, und so schloss er seinen Schmerz und seine Wut über die Ungerechtigkeit in sich ein und rettete sich durch Rückzug. Noch mehr Prügel brauchte er nicht.
Wenn dieser kleine Junge die Vorherrschaft im Fühlen und Verhalten von Justus übernimmt, kann er Sylvia nicht in den Arm nehmen, sondern bräuchte stattdessen ihr Verständnis, das sie ihm als Vierjährige aber auch nicht geben kann.
Die Tragik ist, dass sie sich darüber nicht verständigen können und die Dynamik nicht verstehen, die zwischen ihnen abläuft. Stattdessen verlangen sie unbewusst voneinander, diesen kindlichen Teil ihres Selbst, der unerfüllt, ungeliebt, ängstlich und schutzlos geblieben ist, zu lieben und zu heilen. Doch am Ende bleibt jeder allein und sie setzen ihre Beziehung aufs Spiel, denn mit der Zeit verlieren sie sich immer mehr.
16. Die Arbeit mit dem inneren Kind
Psychotherapie bietet eine Chance, die Verletzungen des inneren Kindes so weit zu bearbeiten, dass sie nicht mehr so schnell und so häufig getriggert werden und der erwachsene Teil auch in kritischen Situationen die Führung behalten kann. 26 Wir erkennen das innere Kind daran, dass das Verhalten und Fühlen in einer bestimmten Situation nicht dem aktuellen Alter des Erwachsenen entspricht. Wie bei Sylvia, die in Not gerät und sich existenziell abgelehnt fühlt, sobald sie kritisiert wird. Ihre heftige emotionale Reaktion und ihr impulsives Verhalten erinnern an ein Kind. In der Therapie kann man sie nun fragen, wie alt sie sich fühlt. In der Regel können Menschen das sehr gut einschätzen. Durch das benannte Alter hat man einen Anhaltspunkt für die Ereignisse, die dem Kind widerfahren sind.
Der Zugang zum inneren Kind erfolgt über den Kontakt des Erwachsenen zu dem kleinen Kind, das er einmal war. Manchmal besteht Widerstand, sich dem verletzten Teil zu nähern, da er verachtet wird und man ihn nicht wahrnehmen will. Im Grunde lehnt der Erwachsene sein inneres Kind genauso ab, wie er es früher erlebt hat. Es wird mit Füßen getreten, beschimpft, als abstoßend und widerwärtig bezeichnet oder »nur« ignoriert. Über Fotos und Erzählungen kann eine Annäherung und allmähliche Hinwendung ebenso geschehen wie über die Vorstellung, das Kind sei im Therapiezimmer oder man sähe es auf einer imaginären Leinwand. Hilfreich kann auch sein, sich ein bekanntes Kind vorzustellen (das kann das eigene Kind sein, eine Nichte oder ein Neffe, ein Patenkind etc.) und sich zu überlegen, wie man sich diesem gegenüber verhält.
Ist die emotionale Reaktion zu Beginn der Arbeit mit dem inneren Kind sehr heftig, bewährt sich die Vorstellung des sicheren Ortes, an den man das Kind schickt, damit es dort geschützt und aufgehoben ist. Dieser Ort kann ein vorgestellter Raum oder ein imaginärer Platz in der Natur sein, in dem eine oder mehrere ideale Personen das Kind rund um die Uhr betreuen und ihm das geben, was es in der damaligen Situation gebraucht hätte, aber nicht bekam. Die Vorstellung, das Kind in gute Hände abzugeben, es behütet zu wissen, z. B. in den Armen eines idealen Elternpaares, umsorgt von Tieren, Engeln oder Feen, entlastet sehr. Wenn der Ort passt, dann lächeln die Betroffenen meist und fühlen sich erleichtert und beruhigt. Der Druck nimmt ab, weil das Kind endlich beschützt und am richtigen Ort ist. Von dort aus ist es dem erwachsenen Teil möglich, sich um das Kind zu kümmern, es zu sich zu nehmen, im Arm zu halten oder es an der Hand mit sich zu führen.
Das Ziel der Arbeit ist, das Kind zu nähren, seine
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