Eitle Liebe: Wie narzisstische Beziehungen scheitern oder gelingen können (German Edition)
was Gefühle betrifft. Er verkörpert einen verlässlichen, versorgenden Mann. Jeder von beiden verspricht sich die Erfüllung des tiefen Wunsches, vom anderen beachtet und angenommen zu werden. Er denkt: »Sie ist eine starke Frau und kann mich unterstützen und verstehen«, sie glaubt, sich an ihn anlehnen und schwach sein zu können. Keiner weiß um die emotionale Bedürftigkeit und den unbewussten Wunsch des anderen, weil keiner ihn zeigen oder mitteilen kann.
Deshalb geraten sie immer wieder in solchen Situationen aneinander, in denen sie sich vom anderen kritisiert und abgelehnt fühlen. Das kann ein Kommentar zu ihrem Äußeren sein, fehlende verbale Bestätigung oder das Gefühl, sie reden aneinander vorbei und können sich nicht verstehen. Natürlich sind das schwierige Momente zwischen Menschen, doch so wie Sylvia und Justus reagieren, ist es mehr als das.
Sie fühlt sich hilflos wie ein kleines Mädchen, verlassen, entwertet, ungeliebt und abgeschoben. Daraufhin reagiert sie unangemessen wütend, schreit Justus an, ist außer sich, nicht zu beruhigen und immer kurz davor, die Beziehung abzubrechen. So verhält sie sich nicht nur bei Justus, sondern bei jedem, von dem sie sich zurückgesetzt fühlt. Ist sie danach allein, weint sie herzzerreißend, versteht aber selbst nicht, was mit ihr los ist.
Justus wiederum verschließt sich, zieht sich zurück, mauert und bricht vorübergehend den Kontakt ab. Dieses Verhalten verunsichert Sylvia noch mehr. Im Grunde möchte sie nur in den Arm genommen werden, aber genau das tut er nicht. Einerseits, weil er sich selbst verlassen fühlt, da sie ihn nicht unterstützt. Andererseits, weil er gar nicht ahnen kann, dass das ihr Bedürfnis ist. Gesagt hat sie es ihm jedenfalls nicht.
Es treffen in diesen Momenten zwei verletzte innere Kinder in der Gestalt zweier Erwachsener aufeinander, die sich nicht das geben können, was sie vom anderen erwarten, die aber auch nicht die Möglichkeit haben, darüber zu kommunizieren. Zum Teil, weil ihnen das Problem nicht bewusst ist, zum Teil, weil sie eine Konfrontation mit ihren frühen Verletzungen vermeiden.
In der Arbeit mit Sylvia wird klar, dass ihre Verwundung viel mit der Beziehung zu ihrer Mutter zu tun hat. Sie hatte immer das Gefühl, wie gegen eine Wand zu laufen, wenn sie von ihr Aufmerksamkeit und Unterstützung brauchte. Im Grunde habe sie nie eine Mutter gehabt, die ihr zuhörte, sich um ihre Belange kümmerte und ihr die Welt erklärte. Auch der Vater konnte diesen Verlust nicht ausgleichen, da er sich ganz aus der Erziehung heraushielt und dabei auch nicht erwünscht war.
Sylvias kindliche Liebe lief ins Leere, wie es so oft bei Narzissten ist, weil ihre Mutter zwar anwesend, aber emotional für sie nicht da war. Sie hatte in ihr kein Gegenüber, das sie bestätigte, beachtete und liebte. Stattdessen lief Sylvia ihrer Mutter und ihrer Liebe immer hinterher. Das tat sie real, wenn sie dem Auto nachlief, in dem die Mutter ohne Abschied wegfuhr, weil sie dem Kind die Trennung erleichtern wollte. Dass sie sie damit zutiefst verletzte und die Erfahrung, nicht wichtig und gewollt zu sein, verstärkte, wusste sie nicht. Weder lernte Sylvia dadurch, sich selbst zu achten, noch dass ihre Liebe etwas Wunderbares ist. Im Gegenteil, ihre Mutter beklagte sich häufig über sie, sie sei zu lebhaft, frage zu viel und sei zu eigensinnig. Ja, eigensinnig wurde Sylvia, denn ihre Art, mit der Zurückweisung umzugehen, war Trotz und Verweigerung. Sie rettete sich in eine kindliche Pseudo-Autonomie, die aus trotziger Eigenständigkeit bestand und dazu diente, sich zu wehren und zu schützen. Ihren Schmerz und ihre Sehnsucht verdrängte sie.
Es klingt, als sei allein die Mutter schuld an Sylvias Misere. Doch so einfach ist es nicht. Denn diese war durch selbst erlittene Entbehrungen beeinträchtigt, sich liebevoll sorgend ihrem Kind zuzuwenden. In der Beziehung zu Sylvia bildete sich ihre eigene, ungelöste Mutterbeziehung ab, was mit der Person von Sylvia nur soviel zu tun hatte, als sie auch ein Mädchen war. Zum anderen kam die Mutter mit dem Tod von Sylvias Bruder nicht zurecht, spürte kaum Unterstützung durch ihren Ehemann und fühlte sich dadurch im Umgang mit der Tochter noch mehr überfordert. Sie machte es so gut, wie sie es konnte, und hinterließ in Sylvias Kinderseele viele ungewollte Verletzungen.
Sylvias heutige aggressive Reaktion auf Justus entspringt ihrem inneren Kind, das sich nicht anders artikulieren kann.
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