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Ekel / Leichensache Kollbeck

Ekel / Leichensache Kollbeck

Titel: Ekel / Leichensache Kollbeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Girod
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Lifttür öffnet, steht bereits ein dicker, mittelgroßer, Mann etwa in Rinkes Alter und in einem braunen Trainingsanzug vor ihm, an den Füßen altmodische, abgetretene Hausschuhe. Die dunklen Haare sind glatt nach hinten gekämmt, das strenge Gesicht strahlt Autorität aus.
    „Haben wir eben gesprochen?“ fragt Rinke verlegen.
    „Abteilung K?“ fragt der Angesprochene kurz zurück. Der Kriminalist zeigt seinen Ausweis, den der Dicke aufmerksam mustert, ehe er mit einer Handbewegung auf eine halbgeöffnete Wohnungstür weist: „Bitte, Genosse, nach links ins Wohnzimmer!“
    Rinke tritt ein, der Dicke schlurft hinterher. Aus einem Fernseher dudelt Volksmusik. DDR-Fernsehen, versteht sich. Eine Frau sitzt davor, schlank, blond, Anfang Vierzig, ebenfalls in einem braunen Trainingsanzug. Erstaunt blickt sie auf den Fremden. „Ein Genosse von der K“, erklärt der Dicke.
    Rinke stellt sich auch ihr vor. Da er richtig vermutet, die Eltern der Toten vor sich zu haben, fragt er ohne zu zögern: „Heißt Ihre Tochter Katharina?“
    Die beiden nicken. Nichts Gutes ahnend, starren sie Rinke an.
    Der schrecklichen Offenbarung, die er behutsam vorzubringen versucht, folgen die langen Minuten des Aufschreies aller Gefühle, die Eltern in einer solchen Situation empfinden. Und Rinke läßt sie gewähren, geduldig und verständnisvoll. Zeit darf jetzt nicht drängen. Er kennt sich aus, ahnt, daß seine offizielle Anwesenheit sie für ein sachliches Gespräch bald zugänglich machen wird, wenn auch nur für kurze Zeit. Aber sobald er sie verlassen hat, wird das schreckliche Geschehen, seine Unfaßbarkeit und Unumkehrbarkeit mit aller Heftigkeit wieder von ihnen Besitz ergreifen und ihre Seelen in ein tiefes Loch stürzen lassen.
    Wie vermutet, kann er nach geraumer Zeit des Abwartens mit dem sachlichen Gespräch beginnen. Und in den nächsten zwei Stunden erzählen die Eltern Rinke eine ganze Menge aus dem Leben ihrer Tochter.
    Katharina, die sie meist Katja nennen, sei schon von klein auf ein stilles, in sich gekehrtes, aber zielstrebiges und fleißiges Mädchen gewesen. In den ersten Jahren habe sich die Mutter, die als Sekretärin im Ministerium für Kohle und Energie arbeitet, ganz ihrem Kind gewidmet. Der Vater habe nach seinem Studium an der Sektion Geographie der Humboldt-Universität eine Tätigkeit beim Ministerium für Staatssicherheit aufgenommen, die er aus Gründen der Geheimhaltung nicht näher bezeichnen könne, die sich aber im weitesten Sinne auf die Lösung karthographischer Probleme bezieht. Dienstlich sei er erheblich eingespannt: Bereitschaft, Dienstreisen und Schichten, nur sehr unregelmäßig daheim. Ansonsten haben sie sich als Eltern um eine klassenbewußte, politisch klare, auf die Sache des Sozialismus orientierte Erziehung bemüht und Katja schon von Schulbeginn an zu aktiver gesellschaftlicher Arbeit, zunächst in der Organisation der Thälmann-Pioniere, später in der FDJ, angehalten. Westfernsehen wurde zu Hause nicht gestattet, wie überhaupt beide Elternteile in Diskussionen mit ihrer Tochter immer bestrebt waren, Tendenzen ideologischer Abweichungen sofort entgegenzuwirken. Diese sicherlich strenge, aber politisch und weltanschaulich klare Erziehungssituation habe auch zu positiven Ergebnissen geführt. Denn: Katja zählte zu den Leistungsstärksten ihrer Schule, obwohl sie durch gesellschaftliche Funktionen als FDJ-Sekretär und Leitungsmitglied in der Grundorganisation stark belastet war. Nach dem Abitur habe sie mit vollem Elan ein Lehrerstudium aufgenommen. Zur Zeit absolviere sie ein Praktikum im Pionierpalast in der Wuhlheide. Ihre knapp bemessene Freizeit gehöre der Musik, insbesondere der Klassik und den Liedermachern. Regelmäßig besuche sie das „Haus der Jungen Talente“ in der Klosterstraße, wo nicht nur die Festivals des politischen Liedes, sondern auch die Werkstattwochen der Singebewegung, gelegentlich auch Tanzveranstaltungen stattfinden. In vieler Hinsicht lebe Katharina so ihr Eigenleben und benötige ihre Eltern nicht, obwohl sie immer noch ihr altes Kinderzimmer bewohne, das sie sich nach ihrem Geschmack gestalte.
    Doch in den letzten beiden Jahren habe sie sich auch innerlich zurückgezogen. Gemeinsame Unternehmungen mit den Eltern seien immer seltener geworden. Bereits vor dem Abitur habe sie eine Beziehung zu einem älteren Mitschüler nach kurzer Zeit wieder gelöst. Überhaupt, vermuten die Eltern mit einer gewissen Befriedigung, zeige sie kein Interesse am

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