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Ekel / Leichensache Kollbeck

Ekel / Leichensache Kollbeck

Titel: Ekel / Leichensache Kollbeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Girod
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männlichen Geschlecht, widme sich statt dessen ihrer beruflichen, politischen und kulturellen Bildung.
    Auf die Frage Rinkes nach einem möglichen Motiv für die Selbsttötung reagieren die Eltern völlig hilflos. Niemals hätten sie Anzeichen einer ernstzunehmenden seelischen Verstimmung bei ihr festgestellt. Und niemals hätten sie vermutet, daß Katharina auf diese entsetzliche Weise ihr Leben beenden könnte. Nein, sie können sich nicht erklären, warum sie das getan hat.
    „Könnte Ihnen Katharina eine Nachricht hinterlassen haben“, fragt Rinke.
    „Nein, nichts wissen wir, überhaupt nichts“, antwortet der Vater verzweifelt.
    „Einer Freundin vielleicht, der sie etwas mitgeteilt hat?“ ergänzt Rinke die Frage.
    Doch der Vater reagiert hilflos: „Keine Ahnung, absolut keine Ahnung! Ich kenne keinen, dem sie sich anvertraut hat!“
    Auch die Mutter verneint mit einer Kopfbewegung.
    „Mit wem hat sie denn überhaupt Kontakt, ich muß ja irgendeinen Faden aufnehmen?“ fragt Rinke erneut.
    Verwundert blickt der Vater auf seine Gattin: „Kennst du jemand, mit dem Katja näher zusammen ist?“
    „Großeltern, Tanten, Onkel, Studienkollegen, Schulfreunde, Leute aus dem Pionierpalast oder dem Haus der Jungen Talente“, präzisiert Rinke.
    „Mit der Oma in Aue?“ zweifelt die Mutter, „nein, ausgeschlossen, das war früher mal. Die ist jetzt ’ne alte Frau, lebt im Heim. Und die Tanten und Onkel, alles weitläufig. Die wohnen irgendwo in der BRD, Adressen kennen wir nicht.“
    Sie blickt Rinke eindringlich an und setzt fort: „Sie wissen ja, wir dürfen und wollen nicht den geringsten Kontakt. – Westbeziehung? Unmöglich!“ Nachdenklich hält sie inne, dann setzt sie fort: „Mir fällt da etwas ein: In letzter Zeit …, da sprach Katja öfters mal von einer Sylvia. Die muß wohl älter sein und in einer Bibliothek arbeiten. Katharina mag sie wohl sehr.“
    Auch der Vater äußert einen Gedanken: „Vielleicht finden wir in ihrem Zimmer etwas? Ich kenne mich in ihren Sachen nicht aus, wir müßten suchen.“
    „Gute Idee, ich hätte sicher danach gefragt“, hakt Rinke ein und drängt sanft: „Können wir gemeinsam nachsehen?“
    Die Eltern zeigen sich einverstanden.
    Katharinas Zimmer wirkt sauber und gemütlich, seine Atmosphäre verrät die Jugend des Besitzers: Plüschtiere auf der Liege, Überreste geliebten Spielzeugs aus der Kindheit, Plattenspieler und viele ernste Bücher. An der Wand hängen Poster von Lenin, Fidel Castro und Gandhi, aber auch von Peter Maffay. Rinke durchsucht den kleinen Schreibtisch: Zwischen allerlei Papierkram unverfängliche Briefe einer unbekannten Freundin, die weit hinter dem Ural wohnt. Berge von politischem und fachlichem Studienmaterial. Aber ein Tagebuch? Ein Abschiedsbrief? Anschriften von Freunden? Irgendein Papier, auf dem sie ihre Seele offenbarte? Die Suche verläuft ergebnislos. Nichts, was einen Hinweis enthält.
    Doch Rinke erinnert sich an die Eintragungen im Taschenkalender, den er in der Gürteltasche der jungen Frau gefunden hatte. Vielleicht versteckt sich dort eine Notiz, die ihm weiterhelfen könnte.
    Er gibt die Suche endgültig auf, muß die Eltern noch darüber informieren, daß der Leichnam ihrer Tochter beschlagnahmt ist. Erst nach der Autopsie und weiteren kriminalistischen Resultaten wird sie zur Bestattung freigegeben. Gleichwohl drückt er seine Zuversicht aus, den Vorgang bald abschließen zu können. Denn die bisherigen Fakten, aber auch seine Erfahrungen sprechen dafür, in diesem Todesfall keinem Verbrechen auf die Spur zu kommen.
    Am Montag, 21. Oktober 1985, hält Hauptmann Rinke den Bericht über die Leichenöffnung in den Händen. Jetzt erst wird das Ausmaß der Verletzungen so richtig deutlich, die Katharina Schade sich durch den tödlichen Sturz vom Müggelturm zugezogen hat: Mehrfache Schädeltrümmerfraktur, Becken- und Oberschenkelbrüche, abgebrochene Rippen, die die Organe durchspießen, Aussprengung eines Stücks des Schädeldachs, offene Hirnverletzung, massive Einrisse in Lunge, Milz und Nieren, Einblutungen in die Brusthöhle.
    Suizidbedingte Todesfälle durch Sturz aus der Höhe sind zahlenmäßig geringer als Unfälle. Jedoch muß auch die Möglichkeit eines Tötungsverbrechens geprüft werden. Insofern ist immer eine gründliche gerichtsmedizinische und kriminalistische Untersuchung erforderlich. Im vorliegenden Fall ist – berücksichtigt man die Höhe des Müggelturms und das Gewicht der Betroffenen, der

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