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Ekel / Leichensache Kollbeck

Ekel / Leichensache Kollbeck

Titel: Ekel / Leichensache Kollbeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Girod
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ernsthaften Behinderung ihrer Persönlichkeitsentfaltung. Fatale Folgen waren nicht zu vermeiden: Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung traten bei ihnen familiäre Konflikte und psychische Erkrankungen wesentlich häufiger auf. Auch der Mißbrauch von Alkohol, der Genuß anderer Suchtmittel und das Zurückziehen in dubiosen Gruppen waren symptomatisch
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    Am auffälligsten jedoch dürften zwei wichtige kriminologische Tatsachen gewesen sein: Zum einen nahm die Suizidalität bei Schwulen und Lesben unaufhörlich zu und erreichte bis Mitte der 80er Jahre eine fünfmal höhere Belastungsziffer als beim Durchschnitt der Bevölkerung. Zum anderen wurden Homosexuelle achtmal eher Opfer von Raubdelikten, Erpressungen, Diebstählen, Körperverletzungen oder gar Tötungen. Bis in die 70er Jahre hinein blieb die ängstliche Zurückgezogenheit das typische Verhaltensmerkmal für Menschen mit homosexueller Neigung
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    Danach begann sich die Verkrampfung langsam zu lösen: Gesellschaftswissenschaftliche Analysen, moderne Erkenntnisse der Sexuologie, Endokrinologie und Andrologie ermutigten die DDR-Wissenschaften, von den politischen Entscheidungsträgern zu verlangen, das Thema Homosexualität öffentlich zu machen und mit gebührender Sachlichkeit zu behandeln. Zunehmend forderten psychologische Publikationen Toleranz und Wissen heraus. Modelle zur Einrichtung von offiziellen Konsultationszentren und Begegnungsstätten wurden entwickelt
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    Zaghaft traten nun auch die Schwulen und Lesben an das Licht der Öffentlichkeit
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    Doch das war angesichts ihrer Überwachung durch den Staat nicht ohne Risiko für den einzelnen. Denn: Bereits 1973, als zur Eröffnung des Weltjugendfestivals in Berlin eine Gruppe Homosexueller vor der verdutzten Öffentlichkeit ein Transparent mit dem Text „Wir Homosexuellen grüßen die X. Weltfestspiele und sind für den Sozialismus in der DDR“ entrollte, bewertete die Partei- und Staatsführung dies bereits als ernste Provokation durch den politischen Untergrund. Prompt wurden die Sicherheitsorgane mobilisiert. Zehntausende Dossiers waren das Ergebnis. Die Kriminalisierung der Homosexuellen wuchs mit ihren Emanzipationsbestrebungen. Doch alle Versuche, sie wieder in die alte Zurückgezogenheit zu zwingen, scheiterten. Längst hatten sie unter den Fittichen der evangelischen Kirche Asyl gefunden (während sich die katholische Kirche fromm zurückhielt). Sie bildeten dort Arbeits- und Freundeskreise sowie Selbsthilfegruppen, tauschten Erfahrungen mit westdeutschen Homosexuellen aus, organisierten Reisen in die Volksrepublik Ungarn, wo Schwule und Lesben wohltuend toleriert wurden. Sie überschütteten die staatlichen Organe und die Parteiführung mit Eingaben und Anträgen, forderten die Abkehr von der bisherigen Benachteiligung. Doch die mächtigen Greise in den obersten Gremien des Partei- und Staatsapparates verschanzten sich weiter hinter ihren rigiden Dogmen. Hilflos mußten sie zur Kenntnis nehmen, daß die Zahl der Homosexuellen, die sich energisch um eine Übersiedelung in die Bundesrepublik bemühten, schneller zunahm als die Ausbürgerungsanträge beim Rest der Bevölkerung
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    Am Vorabend des Mauerfalls machte dann Heiner Carows DEFA-Film „Coming out“ die Öffentlichkeit einfühlsam auf die Probleme der Homosexuellen in der DDR aufmerksam. Auch die Jugendsendung „1199“ des DDR-Fernsehens widmete sich in den letzten Wochen ihrer Existenz einige Male dem Thema Homosexualität
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    Doch erst die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten konnte die Situation der knapp eine Million Schwulen und Lesben in Ostdeutschland dann grundlegend verändern. Aber Achtung: Der endgültige Schritt vom rationalen Verständnis zur emotionalen Akzeptanz ist auch jetzt noch nicht getan
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Der Appell
    Am Südrand der Leipziger Tiefebene, wo die Weiße Elster aus dem Thüriger Hügelland austritt, liegt Zeitz, zu DDR-Zeiten Kreisstadt im Verwaltungsbezirk Halle. Die 45 000 Einwohner umfassende Stadt erlangt vor allem durch das Hydrierwerk, die Eisengießereien, die Herstellung von Ausrüstungen für die Schwerindustrie, den Bau von Kinderwagen und Klavieren wirtschaftliche Bedeutung.
    Die städtische Historie, die mit der Burg Zeitz beginnt und die Entwicklung zur attraktiven Handelsstadt ebenso umfaßt wie die Zeit als Residenz der kursächsischen Sekundogenitur Sachsen-Zeitz sowie die Epoche nach dem Anschluß an Preußen, widerspiegelt sich in sehenswerten frühbarocken, gotisch-romanischen und

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