Ekel / Leichensache Kollbeck
er dort entsprechend versorgt werden. Doch die Verletzungen lassen nur eine schlechte Prognose zu.
Etwa eine Stunde war vergangen, als Pfarrer Brüsewitz Rippicha in Richtung Zeitz verlassen hatte. Da meldet sich eine Mitmieterin des Pfarrhauses bei einer seiner beiden Töchter und übergibt ihr ein Schreiben. Dessen Inhalt führt zunächst zu großen Irritationen: Darin verabschiedet sich Brüsewitz nämlich von seiner Familie und verfügt, an einer bestimmten Stelle des Friedhofs von Rippicha bestattet zu werden, an der er bereits mit dem Ausschaufeln eines Grabes begonnen hatte. Im übrigen stimmt der restliche Text in wesentlichen Passagen mit einem später bekannt gewordenen Abschiedsschreiben überein, das er an seinen Kirchenkreis richtete.
Kurze Zeit nachdem die Dringliche Medizinische Hilfe den schwer verletzten Brüsewitz zum Kreiskrankenhaus gebracht hat, macht sich der stellvertretende Superintendent auf den Weg von Zeitz nach Rippicha, um Frau Brüsewitz und den Töchtern den tragischen Vorfall mitzuteilen. Gefaßt nimmt die Frau die schreckliche Nachricht zur Kenntnis, versucht, das Handeln ihres Gatten zu verstehen. Auch zwei Vertreter der Sicherheitsorgane, die sich als Kriminalpolizei ausweisen, sind bald zur Stelle, um Frau Brüsewitz und die ältere Tochter zwei Stunden lang zu befragen. Die Frage, in welchem Zustand sich ihr Gatte befinde, können (oder wollen) die Vertreter der Staatsmacht Frau Brüsewitz nicht beantworten. Nach der Befragung werden beide zum VPKA Zeitz gebracht, um sie dort, voneinander getrennt, länger als fünf Stunden zu vernehmen.
Vermutlich ist bereits zu diesem Zeitpunkt gem. § 98 StPO die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Brüsewitz wegen des Verdachts einer Straftat gegen die staatliche Ordnung (§ 220 StGB, Öffentliche Herabwürdigung) erfolgt – zumindest ist es in Erwägung gezogen worden. Dafür spricht sowohl die Zuführung von Frau Brüsewitz und ihrer Tochter zum VPKA (ausgenommen, daß sie nicht ausdrücklich freiwillig dorthin mitfuhren) als auch ihre getrennte Vernehmung. Sie hätte gem. § 32 Abs. 1 StPO in jedem Fall ein Ermittlungsverfahren vorausgesetzt. Dann muß man auch fragen, ob die gesetzlich geforderte und durch Unterschrift beider Frauen bestätigte Zeugenbelehrung überhaupt erfolgte (z. B. hinsichtlich ihres Aussageverweigerungsrechts gem. § 26 StPO) und warum die formlose Befragung zu Hause nicht ausreichte
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Die Intentionen der Sicherheitsorgane in diesem Fall, nämlich im Ergebnis der ersten Vernehmungen schon nachzuweisen, daß Brüsewitz vermindert zurechnungsfähig sei oder sogar an einer Geisteskrankheit leide, werden durch die darauf abzielenden Fragen deutlich. Wieder erkundigt sich Frau Brüsewitz nach dem Zustand ihres Gatten, und diesmal erfährt sie von seiner Verlegung ins Bezirkskrankenhaus Halle-Dölau.
Aber erst am 20. August wurde sie vor Ort durch die Ärzte der Intensivstation ausführlich über den wahren Zustand ihres Mannes unterrichtet: Für den Patienten bestünde akute Lebensgefahr, er erlange nur kurzzeitig das Bewußtsein, sei dann aber verwirrt: Ihn zu besuchen, wäre nicht möglich.
Sonntag, der 22. August: Der Zustand des vom Tode gezeichneten Brüsewitz verschlimmert sich zusehends. Die Ärzte des Bezirkskrankenhauses benachrichtigen die Familie, halten einen Besuch für dringend geboten. Doch noch ehe sie eintrifft, ist Pfarrer Brüsewitz seinen schweren Brandverletzungen erlegen.
Von Anfang an wird der „Vorgang Brüsewitz“ von der Untersuchungsabteilung des MfS bearbeitet. Selbst wenn ein Ermittlungsverfahren gegen den Pfarrer eingeleitet worden war: Nach seinem Tode muß es ohne Einstellungsentscheidung beendet werden. Die Akte wird somit als Todesermittlungssache weitergeführt. Die Tatmotive sind ja noch unklar.
Warum das MfS und nicht die Kriminalpolizei die Ermittlungen führt, läßt sich einfach erklären: Daß ein Pfarrer in der DDR durch öffentliche Präsentation von Plakaten mit sozialismusfeindlichem Inhalt und seine demonstrative Selbstverbrennung einen, wie es der Vorsitzende des Rates des Kreises bezeichnet, „provokatorischen, staatsfeindlichen Akt“ verübt hat, macht die politische Dimension des Geschehens deutlich. Hinzu kommt das rege Interesse der westdeutschen Medien, die bereits am 20. August über Rundfunk und Fernsehen darüber berichten. Schnell wird hüben und drüben klar, daß das Ereignis sowohl die Kirche als auch die Partei- und Staatsführung der DDR
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