Ekel / Leichensache Kollbeck
Uhr in der Kirche zurück
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Am 28.11.1972 installierte er einen Tannebaum mit elektrischen Kerzen in seinem Gartengrundstück an der Straße und setzte unter diesen Tannebaum einen Lautsprecher, der an das Radio in seiner Wohnung angeschlossen war und spielte Musik
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Zu einem sogenannten ev.-kath. Kindertag am 19.7.1973 spielte er mit viel Geschrei und barfuß mit den Mädchen und Jungen Fußball zum Gespött der Einwohner …“
Doch der Versuch der Partei- und Staatsführung, mit derartigen „Fakten“ die Kirchenleitung veranlassen zu wollen, Brüsewitz offiziell für geistesgestört zu erklären, muß fehlschlagen. Andernfalls hätte man der Kirchenleitung Verantwortungslosigkeit unterstellen können, einen vielleicht unzurechnungsfähigen Pfarrer einer Gemeinde anvertraut zu haben.
Die Selbstverbrennung Brüsewitz’ löst ein gewaltiges öffentliches Interesse aus. Westdeutsche Zeitungs- und Fernsehberichte nehmen das Ereignis zum Anlaß, die DDR-Realität zur Diskussion zu stellen. Die DDR-Führung nimmt das übel, fühlt sich zu Reaktionen in der eigenen Presse genötigt. Doch sie gehen nicht über das Niveau sattsam bekannter Agitation hinaus, wirken unglaubwürdig und fordern ungewollt weitere Diskussionen heraus. Am 26. August 1976, dem Tag des Trauergottesdienstes für Brüsewitz, demonstriert im Kreisgebiet von Zeitz die Staatsmacht durch Behinderungen, Kontrollen, vorläufige Festnahmen und andere Repressalien ihre klassenkämpferische Entschlossenheit.
Der Höhepunkt des Konflikts wird schließlich durch den am 11. September 1976 von der Konferenz der Kirchenleitungen der DDR verabschiedeten öffentlichen „Brief an die Gemeinden“ erreicht. In diesem Brief wird die Selbstverbrennung des Pfarrers Brüsewitz zum Anlaß genommen, die grundsätzliche Position der Kirche in der DDR zu bestimmen und kritische Fragen des Verhältnisses zum Staat aufzuwerfen.
Die Genossen des Zentralkomitees sind darüber erbost. Sie halten die Verbreitung dieses Briefes – wie sie in einem höchst vertraulichen Fernschreiben vom 16.9.1976 an die 1. Sekretäre der SED-Kreisleitungen formulieren – für „einen der größten konterrevolutionären Akte gegen die DDR. Wir werden … zur gegebenen Zeit die erforderlichen Schlußfolgerungen ziehen.“ Offensichtlich wird damit die bisherige Koexistenz zwischen Staat und Kirche nun endgültig in Frage gestellt.
Die Schlußfolgerungen lassen dann auch nicht lange auf sich warten: Da die Partei- und Staatsführung in der Kirche ohnehin ein gefährliches sozialismuskritisches, letztlich sogar konterevolutionäres Potential vermutet, schwenkt sie aus machtpolitischen Erwägungen auf den harten, restriktiven kirchenpolitischen Kurs früherer Zeiten zurück. Dieser wird dann auch bis zum Ausgang der 70er Jahre beibehalten.
Schon ein kurzer Blick in die Biographie des evangelischen Pfarrers Oskar Brüsewitz macht deutlich, wie sehr seine unbequeme, streitbare Art Widerspruch hervorruft. Im Jahre 1929 geboren, von Beruf Schuhmachermeister, durch und durch gottesfürchtig und von missionarischem Eifer, aktives Mitglied in verschiedenen Kirchengemeinden, besucht er erst relativ spät die Erfurter Predigerschule (1964 bis 1969). Seinen Probedienst als Pfarrer leistet er in Rippicha, einer Landgemeinde nach seinem Sinn. Er übernimmt dort das baufällige Pfarrhaus, das er mit Organisationstalent und handwerklichen Fähigkeiten bald instandsetzt. Seine zupackende, direkte Art macht die Gemeindemitglieder neugierig. In der Öffentlichkeitsarbeit, die Brüsewitz immer schon für ein wichtiges Instrument theologischen Wirkens hält, fällt er mit einer Serie von originellen, aber auch spektakulären, mitunter die regionale Obrigkeit provozierenden Aktionen auf. Einmal plaziert er neben die akkurat gedruckten Agitations- und Propagandaplakate der Ortsschule seine eigenen, eilig beschriebene Plakate mit Bibeltexten. Der Rat der Gemeinde fordert deren Beseitigung. Brüsewitz weigert sich hartnäckig. Als er ein anderes Mal ein großes, weithin sichtbares Kreuz aus Leuchtstoffröhren an der Kirche anbringen läßt, wird wieder dessen Entfernung verlangt, und er setzt erneut Widerstand entgegen. Auch die direkte Konfrontation scheut er nicht: Als konsequenter sogenannter Nichtwähler (das war der Terminus für eine Kategorie DDR-Verdrossener, die von der Staatsmacht immer genaustens registriert wurden) äußert er einmal auf einer öffentlichen Wählerversammlung: „Ich habe
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