Ekel / Leichensache Kollbeck
Selbstopfer zugleich. Zweifellos war Oskar Brüsewitz eine akzentuierte Persönlichkeit, keineswegs aber ein Psychotiker, so wie die DDR-Führung es gern nachgewiesen hätte.
Die Selbstverbrennung zählt zu den ungewöhnlichen Suiziden. Wegen ihres nur vereinzelten Auftretens wird sie aus statistischen Erwägungen in der Kategorie „sonstige Begehungsweisen“ mit anderen, seltenen Formen wie Ersticken, Unterkühlen, Selbsterdrosseln usw. subsumiert. In der DDR liegt ihr statistischer Anteil, wie auch in anderen europäischen Ländern, über viele Jahrzehnte hinweg unter 0,5 Prozent der Suizide. In anderen Kulturkreisen, z. B. im Hinduismus, Buddhismus, besitzt die Selbstverbrennung eine lange Geschichte und zählt sogar zum religiösen Brauchtum. Bis weit in das vorige Jahrhundert hinein reichte das hinduistische Ritual der sogenannten Sati (sanskritisch „treue Gattin“, Name der Ehefrau des Gottes Shiwa), wonach es als ehrenvoll galt, wenn Witwen durch Selbstverbrennung ihren Gatten ins Jenseits folgten. Noch immer ist die Selbstverbrennung buddhistischer Mönche im fernen Osten zu beobachten
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Ein wichtiger Impuls – und das trifft gleichermaßen auf das Christentum zu – geht dabei von der religiösen Überzeugung aus, daß die physische Existenz des Menschen gegenüber dem Leben im Jenseits unbedeutend ist. Auch die bewußte Entscheidung für diese besonders schmerzvolle Tötungsart und das Risiko, mitunter erst nach längerer Zeit tot zu sein, spielen für den Betreffenden eine sekundäre Rolle und rücken hinter den Tötungswillen. Überlegungen, einen schmerzvollen Tod auf sich zu nehmen und damit einen ähnlichen Weg wie Jesus Christus zu gehen, um in das Reich Gottes zu gelangen, mögen dabei begünstigend wirken. Insofern wäre es falsch, den Betreffenden grundsätzlich psychotische Ursachen unterstellen zu wollen
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Die Öffentlichkeit des Vorgangs korrespondiert mit dem Appellcharakter der Selbsttötung und unterstreicht die Absicht des Suizidenten, eine Signalwirkung zu erreichen. Denn: Die Selbstopferung wird zum Mittel der Anklage meist gegen politische Mißstände oder Glaubensunterdrückung und soll gesellschaftliches Bewußtsein mobilisieren. Als Beispiel sei der öffentliche Verbrennungstod des Studenten Jan Palach im Januar 1969 genannt, der durch Selbstopferung gegen die im August 1968 erfolgte Invasion sowjetischer Panzer zur Niederwalzung des „Prager Frühling“ protestierte. Die Massenmedien widmeten dem spektakulären Fall intensive Aufmerksamkeit. Daß ihm kurze Zeit später auf gleiche Weise und aus gleichen Motiven Jan Zajic folgte, blieb allerdings weitgehend unbekannt. Die Medien nahmen kaum Notiz davon
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Etwa zwei Drittel der suizidalen Verbrennungen finden zwar im Freien, aber nur selten vor den Augen der Öffentlichkeit statt. Sie besitzen daher keineswegs die beschriebene Appellfunktion wie im Fall Brüsewitz. Die Selbstmörder suchen zur Realisierung ihres Vorhabens einsame, abgelegene Gegenden auf. Signifikant ist dabei die Benutzung eines Pkw: Die Betreffenden übergießen sich, im Fahrzeug sitzend, mit Benzin und verbrennen sich. Tendenz der letzen Jahre: steigend. Ein Drittel der Tatorte liegt in Gebäuden. Als Brandmittel wird vor allem Benzin bevorzugt. Aber auch Spiritus, Benzol, Firnis, Farbverdünner, ja sogar tierische Fette werden verwendet. Der verursachte Brand kann Sachwerte und unbeteiligte Menschen in höchstem Maße gefährden. Die vermeintliche Rücksichtslosigkeit der Suizidenten gegenüber ihrer Umwelt erklärt sich aus der Tatsache ihrer eingeschränkten Zurechnungsfähigkeit. Immerhin liegt der Anteil der psychisch Kranken bei etwa 40 Prozent der suizidalen Verbrennungen. Damit ist ihre Anzahl viermal höher als bei anderen Suizidarten
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Der Verbrennungstod wird durch verschiedene Faktoren ausgelöst, die auch die unterschiedlichen Überlebenszeiten begründen. Auch wenn kein unmittelbarer Kontakt des Körpers mit dem Feuer stattfindet, kann dennoch dessen enormer Sauerstoffverbrauch zu einer rasanten Produktion hoher Kohlenmonoxidkonzentrationen in der Umgebung des Feuers führen und damit eine rasche Bewußtlosigkeit bewirken, noch ehe die Flamme auf den Körper übergreift
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Bei direktem Flammenkontakt oder durch strahlende Hitze können die Brandverletzungen innerhalb der ersten 24 Stunden einen Schocktod bewirken. Der Tod kann aber auch nach längerer Überlebenszeit durch die sog. Verbrennungskrankheit verursacht werden. Es kommt dabei zu
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