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Ekel / Leichensache Kollbeck

Ekel / Leichensache Kollbeck

Titel: Ekel / Leichensache Kollbeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Girod
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Früchte: Lucretias Zustand bessert sich von Tag zu Tag. Sie schmiedet wieder Pläne, ist zunehmend heiter und lebensbejahend und schreitet viel selbstbewußter über den langen Gang der chirurgischen Station. Manchmal allerdings wechselt ihre Stimmung innerhalb sehr kurzer Zeit. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel überfällt sie dann der Trübsinn, quält sie wieder das kräftezehrende Undefinierbare, Einengende in ihrem Leib, das sie Claudia einmal bildhaft so beschreibt: „Weißt du, mir ist, als würde der Teufel in meinem Bauch sitzen, um mich zu martern!“
    Die seelischen und körperlichen Reserven scheinen aber auszureichen, um mit diesen Zuständen einigermaßen fertigzuwerden. In schwierigen Situationen zwingt sie sich zur Ablenkung, bringt ihre Gefühle und Eindrücke zu Papier, malt oder schreibt Gedichte. Einem ihr bekannten Psychologen, mit dem sie zufällig im Kasino des Klinikums am Mittagstisch zusammentrifft, beschreibt sie ihre Verstimmungszustände, freilich in sehr abgeschwächter Form. Er ermuntert sie zusätzlich, ein Tagebuch zu führen. Das wäre ein probates Mittel der Ablenkung, Selbstbeobachtung und -kontrolle.
    Eines Tages überreicht Lucretia ihrer Schwester mehrere selbstverfaßte Gedichte mit den knappen Worten: „Da, für dich!“ Claudia ist gerührt, bedankt sich und überfliegt sie:
    Die folgenden drei Gedichte Lucretias aus dem „Tagebuch 1979/80“ widerspiegeln ihre traurige Grundstimmung und die durch Versagensängste verursachte Selbstverachtung
.
    1. Böser Traum
    Gehe ich so ganz allein
    im Blätterregen der Natur
,
    und atme Luft, so kalt und rein
,
    such’ vergebens eine Spur
    bunten Lebens um mich herum
.
    Kein Blättchen wiegt sich mehr am Strauch
,
    kein Vogelsang! Alles ist stumm
.
    Nur eine Windböe bringt den Hauch
    Großstadtdunst zu mir heran
.
    Ich spür’ den Frost, der letzte Nacht
    die späten Rosen überfiel. Dann
    plötzlich fühle ich die Macht
,
    die dies so jung erstarren ließ
.
    Ich hör’ im öden, toten Wald
    das Knacken der vereisten Zweige, als stieß
    er einen letzten Schrei aus, der kurz widerhallt
.
    In diesem Augeblick fühl’ ich mit jedem Baum
,
    fühl’ alles, auch in mir, sehr kalt
.
    Da gehe ich nun so allein
    und meine Angst wurd’ bald
    zum bösen Traum:
    Wird uns’re Welt für immer mal so sein?
    2. Einsamkeit
    Ich höre, es kämpft der Herbst mit dem Winteranfang
.
    Über mir trommelt kalter Regen, gestern noch Schnee
.
    Die Abende werden jetzt unerträglich lang
,
    da ist wieder etwas, das tut mir so weh
.
    Wenn ich die Häuser sehe im Tal
,
    als drängten sie, sich Wärme zu geben
,
    geschützt durch die Berge, ein weißer Schal
,
    der sich behutsam um das kleine Leben legt
    und mich bewegt Sehnsucht und Einsamkeit
,
    die quält und ruhelose Nächte schafft
.
    Wo mein Gewissen für manche Zeit
    dunkle Gedanken nährt, – eine Kraft
,
    meine Hände ungewollt handeln zu lassen
,
    erblindet auch mein Herz und Wille
.
    Und ich will mich selber hassen
,
    Seele aus dem Leibe reißen. Stille
,
    die ersehnte, schreit in meinen Ohren
.
    Hören sie Musik, ganz neue?
    Sind sie taub und ganz verloren?
    Dann hat mein Gutes vollbracht, was ich scheue:
    Ein Augenblick als Ewigkeit, die ich nicht bereue
.
    3. Entsetzen
    Ich sehe im Spiegel mein Gesicht
,
    aber ich erkenne mich nicht
.
    Bewußtlos durch den Trunk
    der giftigen Verzweiflung
    zerschlug ich ihn in großer Wut
.
    Und tausend Scherben splitterten
,
    zerschnittene Hände zitterten
.
    Doch Entsetzen, als ich sah:
    Ich bin noch da!
    Claudia vermutet, daß Lucretia fragen wird, wie sie ihre kleinen Werke finde. Doch sie fühlt sich außerstande, solche Gedichte zu beurteilen. Viel lieber wäre ihr, wenn die Schwester Einzelheiten daraus erläutern würde, die sie nicht versteht. Aber das zu erbitten, hält sie für unangebracht. So schweigt sie, und entgegen ihrer Erwartung stellt Lucretia auch keine derartige Frage.
    Die Zeit vergeht, ohne daß Lucretia erneut von lähmender Schwermut ergriffen wird. Und als sich der Sommer neigt, ist sie wieder heiter, unternehmungslustig und kontaktfreudig. Auch die Arbeit macht wieder Freude. Selbst die Nachtdienste, die ihr immer schon schwergefallen sind, scheinen kaum mehr eine Last zu sein. Nur selten überfällt sie eine tagelang andauernde, diffuse Traurigkeit, für die sie keine Ursache findet. Dennoch ist es lange nicht so schlimm wie in der schrecklichen Zeit anfangs des Sommers. Manchmal muß sie ohne Grund weinen, dann fühlt sie sich

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