Ekel / Leichensache Kollbeck
Arno Beskow immer wieder von heftigen Hustenanfällen geplagt, die ihn unmißverständlich daran erinnern, daß in seiner Brust ein gefährlicher Prozeß abläuft. Und er entschließt sich, nicht mehr zu rauchen. Angst schafft Nichtraucher. Wenigstens, bis alle Untersuchungen abgeschlossen sind und die Befunde vorliegen. Dann will er neu entscheiden.
Als er zur Mittagszeit das Kontor seines Betriebes betritt, hat er die schreckliche Offenbarung des Arztes einigermaßen verdaut und sein künftiges Verhalten konzipiert: Er will nicht an das Schlimmste denken, sich nicht unnötig in Panik versetzen, solange die Untersuchungen kein sicheres Ergebnis erbracht haben. Er will auch die Gattin nicht beunruhigen. Sie soll im unklaren bleiben. Deshalb flunkert er ihr vor, die Röntgenaufnahmen haben nichts erbracht. Er schränkt ein, in einigen Tagen wieder zur Klinik zu müssen, weil man nun seine Luftröhre von innen untersuchen will.
In der folgenden Zeit fühlt sich Arno Beskow ziemlich wohl. Der Reizhusten hat sich nicht verstärkt. Auch die Schmerzen hinter dem Brustbein sind erträglich. Irgendwie scheint die akute Lebensangst eingedämmt zu sein. Er verspürt sogar unbändige Lust zu rauchen. Doch eiserne Disziplin drosselt das Verlangen. Nur das mulmige Gefühl, was es mit der Computertomographie auf sich hat, läßt ihn nicht los. Und je näher der Termin rückt, um so stärker quälen ihn Ängste.
In der Radiologischen Abteilung der Medizinischen Akademie gibt sich Arno Beskow zur vereinbarten Zeit ganz seinem Schicksal hin. Die röhrenförmige, geheimnisvolle Apparatur, in die er kopfvoran hineingeschoben wird, flößt ihm einen Riesenrespekt ein. Seine Befürchtung bestätigt sich nicht: Die Untersuchung verursacht keinen Schmerz. Außerdem dauert das Procedere nur einige Minuten. Dann wird er entlassen, und er ist zufrieden.
Nun steht ihm noch die Bronchoskopie bevor, die eine Woche später ambulant durchgeführt werden soll. Es beruhigt ihn, daß eine Kurzzeitnarkose ihm Sinne und Empfindungen nehmen wird, obwohl ihm das Ganze sehr unangenehm erscheint. Als er dann mit soldatischer Pünktlichkeit an die Zimmertür mit der Aufschrift „Endoskopie“ anklopft, erscheint eine freundliche Schwester, die ihm zunächst eine Tablette, wie sie sagt, zur Beruhigung, offeriert. Dann soll er bis zum Aufruf im Warteraum Platz nehmen.
Dort sitzen bereits zwei ältere Männer in Bademänteln, stationäre Patienten aus der oberen Etage. Sie reden miteinander. Aber ihre Stimmen sind entartet, klingen farblos, heiser krächzend und undeutlich, als ob die Stimmbänder ohne Funktion wären. Beskow ist entsetzt, nimmt an, daß sie aus einer künstlichen Öffnung unterhalb des Kehlkopfs sprechen, aus der er heftige, röhrende Atemgeräusche vernimmt. Sofort hat er den unheimlichen Verdacht, daß die Männer ein ähnliches Schicksal erlitten, wie es ihm bevorstehen könnte. Deshalb will er wissen, woran die beiden leiden.
Behutsam stellt er seine Frage. Und seine Befürchtung bestätigt sich: Kehlkopfkrebs.
Tausend angstvolle Gedanken schwirren nun durch sein Hirn. Sie werden immer wieder auf die eine Frage gelenkt: „Habe ich Krebs?“ Und je mehr er darüber grübelt, um so fester reift sein Entschluß, sein Leben gewaltsam zu beenden, wenn diese heikle Frage jemals bejaht werden sollte. Keineswegs will er sich dann zum Objekt eines hoffnungslosen Herumdokterns machen lassen. Hauptsache ist, ihm bleibt Kraft und Gelegenheit, seine persönlichen Dinge und die Betriebsangelegenheiten zu ordnen. So will er sich ohne Groll aus dem Diesseits verabschieden.
Beskows Gedanken werden jäh unterbrochen: Die freundliche Schwester ist erschienen und fordert ihn mit der Bemerkung: „Es kann losgehen!“ zum Mitkommen auf. Klopfenden Herzens folgt er ihr in den Endoskopieraum.
Eine reichliche Stunde später ist alles vorbei. Wieder sitzt er im Warteraum. Nur diesmal wartet er auf seine Tochter, die ihn wie verabredet nach Hause abholen wird. Es ist gut, daß er ohne Auto ist. Auch wenn die Narkose nur kurz war, fühlt er sich noch ein wenig benommen. In diesem Zustand könnte er kein Auto lenken. Beskow ist zufrieden, alles überstanden zu haben, fühlt, bis auf ein leichtes Kratzen im Hals, das er als Indiz für den diagnostischen Eingriff ansieht, keinen Schmerz. Das wundert ihn: Bislang hatte er angenommen, die Entnahme einer Gewebeprobe würde nachhaltige Schmerzen verursachen. Nun klammert er sich an die Hoffnung, der Arzt würde
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